1. Zuständigkeit für die Durchführung eines Asylverfahrens im Dublin-Verfahren
In der Praxis erhält das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) nicht selten über einen Eurodac-Treffer (ein Treffer in der europäischen Datenbank zur Speicherung von Fingerabdrücken) Kenntnis davon, dass der Asylsuchende in einem anderen EU-Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat. In diesem Fall richtet es regelmäßig ein Wiederaufnahmeersuchen an den jeweiligen EU-Mitgliedstaat, das nicht immer beantwortet wird. Reagiert in einem solchen Fall das Bundesamt durch Bescheid in der Weise, dass der Asylantrag wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit unzulässig ist, und ordnet es die Abschiebung des Asylsuchenden in das EU-Mitgliedstaat an, findet dieser Weg in dem Urteil des BVerwG vom 9.8.2016 (1 C 6.16, NVwZ 2016, 1492 ff. = Asylmagazin 2016, 425 ff. = InfAuslR 2016, 444 ff.) keine Rückendeckung.
Hiernach darf der nach den Dublin-Bestimmungen zuständige Mitgliedstaat einen Schutzsuchenden dann nicht auf eine Prüfung durch einen anderen (unzuständigen) Mitgliedstaat verweisen, wenn dessen (Wieder-)Aufnahmebereitschaft nicht positiv feststeht. Dies ergebe sich als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal aus dem Sinn und Zweck des Dublin-Systems und der mit ihm verwirklichten verfahrensrechtlichen Dimension der materiellen Rechte, die die Richtlinie 2011/95/EU (sog. Anerkennungsrichtlinie) Schutzsuchenden einräume. Danach könne sich ein Schutzsuchender den für die Prüfung seines Schutzbegehrens zuständigen Mitgliedstaat zwar nicht selbst aussuchen, er habe aber einen Anspruch darauf, dass ein von ihm innerhalb der EU gestellter Antrag auf internationalen Schutz innerhalb der EU geprüft werde. Könnte sich der Schutzsuchende auch bei fehlender (Wieder-)Aufnahmebereitschaft eines anderen Mitgliedstaats nicht auf die Zuständigkeit Deutschlands berufen, entstünde die Situation eines "refugee in orbit", in der sich kein Mitgliedstaat für die sachliche Prüfung des Asylantrags als zuständig ansehe. Dies würde dem zentralen Anliegen des Dublin-Regimes zuwiderlaufen, einen effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden (Erwägungsgrund 4 der Dublin II-VO bzw. 5 der Dublin III-VO).
2. Klageart bei Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens
Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gem. § 71 Abs. 1 AsylG bzw. § 71a AsylG stellt sich nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes der Sache nach als Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG dar.
Mit dem Integrationsgesetz hat der Gesetzgeber zur besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung der Rechtsanwendung in § 29 Abs. 1 AsylG die möglichen Gründe für die Unzulässigkeit eines Asylantrags in einem Katalog zusammengefasst (BT-Drucks 18/8615, S. 51). Hierzu zählt gem. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG nunmehr auch der – materiell-rechtlich unverändert geregelte – Fall, dass im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG oder eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.
Nach dem Urteil des BVerwG vom 14.12.2016 (1 C 4.16) ist jedenfalls seit Inkrafttreten dieser Neuregelung die Entscheidung, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG stelle, ebenso wie die gleichbedeutende Ablehnung der Durchführung eines weiteres Asylverfahrens, einen der Bestandskraft fähigen, anfechtbaren Verwaltungsakt dar (vgl. zur bisherigen Rechtslage Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Stand 12/2016, § 71a Rn 39). Sie verschlechtere die Rechtsstellung des Asylsuchenden, weil damit ohne inhaltliche Prüfung festgestellt werde, dass sein Asylvorbringen nicht zur Schutzgewährung führe und darüber hinaus auch im Falle eines weiteren Asylantrags abgeschnitten werde, weil ein Folgeantrag, um den es sich gem. § 71a Abs. 5 i.V.m. § 71 AsylG handeln würde, nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zu einem weiteren Asylverfahren führen könne. Ferner erlösche mit der nach § 71a Abs. 4 i.V.m. §§ 34, 36 Abs. 1 und 3 AsylG regelmäßig zu erlassenden, sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung auch die Aufenthaltsgestattung (§ 67 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AsylG). Der Asylsuchende müsse die Aufhebung des Bescheids, mit dem die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt werde, erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten wolle (s. auch BVerwG Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 = juris Rn 12).
Hinweis:
Die Anfechtungsklage ist nicht wegen des Vorrangs einer Verpflichtungsklage im Hinblick darauf unzulässig, dass für das von den Asylsuchenden endgültig verfolgte Ziel der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die Verpflichtungsklage die richtige Klageart ist. Soweit in der bisherigen Rechtsprechung zum Folgeantrag eine Verpflichtung der Gerichte zum "Durchentscheiden" angenommen und dementsprechend die Verpflichtungsklage als allein zulässige Klageart betrachtet worden ist (vgl. BVerwGE 106, 171, 172...