Zusammenfassung
Der Berichtszeitraum umfasst die Zeit von Oktober 2017 bis März 2018.
I. Zivilrecht
1. Betriebsgefahr (§ 7 StVG)
Bei einem berührungslosen Unfall ist Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs eines Kfz zu einem schädigenden Ereignis, dass es über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (BGH NJW 2017, 1173 = NZV 2017, 176 m. Anm. Quaissier = DAR 2017, 135 m. Anm. J. Schneider DAR 2017, 268 = zfs 2017, 315 = VRR 4/2017, 8 [Schulz-Merkel]). Ausgehend hiervon hat das OLG Celle (NZV 2018, 86 [Bachmor]) entschieden: Wenn ein Kraftfahrer mit seinem Fahrzeug auf gerader und übersichtlicher Strecke nach rechts von der Fahrbahn abkommt, spricht regelmäßig der Anscheinsbeweis dafür, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Allein das örtliche und zeitliche Zusammentreffen des Abkommens von der Fahrbahn mit dem Einbiegen eines Sattelzugs aus einer untergeordneten Straße reicht nicht aus, um diesen Anschein zu erschüttern, wenn nicht feststeht, dass der Sattelzug im Rahmen des Abbiegevorgangs teilweise auf die Fahrbahn des verunfallten Kraftfahrers geraten ist (s.a. EuGH DAR 2018, 16 m. Anm. Schwab).
Hinweis:
Weiterhin in der Diskussion stehen Fragen rund um das "automatisierte Fahren". Der Arbeitskreis II des Vehrkehrsgerichtstags hat sich in Goslar 2018 mit diesem Fragenkreis beschäftigt (zu den Empfehlungen NZV 2018, 69; Wehrl DAR 2018, 121).
2. Zurechnung, insb. Mitverschulden (§ 9 StVG, § 254 BGB)
a) Beteiligung von Fußgängern
Im Berichtszeitraum hat besonders häufig die Festlegung von Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen mit Fußgängern eine Rolle gespielt. Bei einem plötzlich auf die Fahrbahn tretenden Fußgänger kann dessen Verschulden die Betriebsgefahr des Kfz deutlich überwiegen (LG Mönchengladbach VRR 10/2017, 13 [Nugel]) oder ganz ausschließen (OLG Dresden NJW-RR 2017, 1303 = zfs 2017, 555). Das Laufen auf einer unbeleuchteten Straße zur Nachtzeit in dunkler Kleidung im Zustand der alkoholbedingten Verkehrsuntüchtigkeit stellt einen so groben Obliegenheitsverstoß dar, dass die Haftung des Halters/Fahrers entfällt, wenn die Betriebsgefahr des Fahrzeugs nicht erhöht war (OLG Jena NJW 2018, 77).
Hinweis:
Das bloße Tragen dunkler Kleidung genügt hingegen bei ordnungsgemäßem Verhalten nach den Vorgaben des § 25 Abs. 3 StVO nicht für die Annahme eines Mitverschuldens (OLG München VRR 12/2017, 9 [Burhoff]; zu Haftungsfragen bei § 25 Abs. 3 StVO Bohne NZV 2018, 127).
b) Beteiligung von Motorradfahrern
Einen entgegenkommenden Motorradfahrer trifft keine Mithaftung, wenn er spontan eine überzogene Schreckreaktion an den Tag legt und eine zu starke Bremsung durchführt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine den gesamten Umständen nach völlig verfehlte Reaktion vorliegt (LG Mönchengladbach VRR 2/2018, 9 [Nugel]). Ein Motorradfahrer muss sich nach dem gegenwärtigen Stand kein Mitverschulden anrechnen lassen, weil er bei dem Unfall statt Motorradstiefeln nur Turnschuhe trug (OLG München NJW 2017, 2838 m. Anm. Schroeder = zfs 2017, 673 m. Anm. Diehl = VRR 12/2017, 10 [Deutscher]).
c) Unfälle beim Rückwärtsfahren
Kommt es zwischen einem Pkw, der aus einer untergeordneten Straße nach rechts abbiegen will, und einem Transporter, der unmittelbar hinter der Einmündung der Vorfahrtsstraße vom Fahrbahnrand rückwärts anfährt, zu einer Kollision, ist eine Haftungsverteilung von 70:30 zulasten des Transporters gerechtfertigt, wenn sich der Pkw-Fahrer trotz Erkennens der Rückwärtsfahrt des anderen Kfz weiter in den Kreuzungsbereich vorgetastet und dadurch den Unfall mitverursacht hat (OLG Zweibrücken NZV 2017, 488 [Balke]). Bei der Kollision eines wartepflichtigen, in die Vorfahrtsstraße einbiegenden Pkw mit einem rückwärtsfahrenden Müllfahrzeug überwiegt der Pflichtverstoß des rückwärtsfahrenden Müllwerkers (LG Saarbrücken NJW-RR 2017, 87 = NZV 2017, 586 [Felz]).
3. Sachschäden (§ 249 BGB)
a) Unfallbeschädigtes Taxi
Wählt der Eigentümer eines durch einen Verkehrsunfall beschädigten Taxis den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, sind, wenn ein Markt für die Ersatzbeschaffung eines Gebrauchtwagens mit Taxiausrüstung nicht existiert, die Umrüstung eines im Übrigen gleichwertigen Gebrauchtwagens zu einem Taxi jedoch mit verhältnismäßigem Aufwand möglich ist, die (fiktiven) Umrüstungskosten als zusätzlicher Rechnungsposten in die Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes einzustellen und damit im Rahmen des Anspruchs des Geschädigten auf Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB) ersatzfähig (BGH NJW 2017, 2401 m. Anm. Poppe = NZV 2017, 480 m. Anm. Almenroth = DAR 2017, 700).
b) Kosten für eine Sonderlackierung
Bei Totalschaden eines Fahrzeugs mit einer individuellen Lackierung (Airbrush) kann der Geschädigte Zahlung in Höhe der Umlackierungskosten für ein Ersatzfahrzeug nicht verlangen, wenn der Aufwand für die Umlackierung unverhältnismäßig ist. Der nach § 251 BGB geschuldete Geldersatz ist, weil mangels eines Marktes für vergleichbare gebrauchte Sachen eine Ersatzbeschaffung nicht möglich ist, auf der Grundlage des Anschaffungswertes unter Berücksichtigung von Abschreibun...