Für den diesjährigen Deutschen Anwaltstag hat der Deutsche Anwaltverein ein Generalthema auserkoren, das gerade sehr en vogue ist: den Rechtsstaat. Ob seine Konturen noch klar sind, wo er zu erodieren droht und nicht zuletzt auch, was die Anwaltschaft zu seinem Funktionieren beitragen kann, sind Fragen, denen sich nachzugehen lohnt, ganz besonders, wenn quasi zeitgleich das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland den 70. Jahrestag seines Inkrafttretens verzeichnet.
Ganz klar, wir als Anwaltschaft bilden einen wesentlichen Grundpfeiler des Rechtsstaats. Wir sichern den Zugang zum Recht für alle Bürgerinnen und Bürger. So knapp diese Aussage ist, so facettenreich ist sie auch:
Zu allererst bringt sie die Aufgabe mit sich, den Bürgerinnen und Bürgern den Rechtsstaat zu erklären, sie dahingehend zu beraten, welche Mittel und Möglichkeiten ihnen zur Durchsetzung ihrer Interessen zur Verfügung stehen. Als Anwältinnen und Anwälte sind wir damit auch diejenigen, die dafür garantieren, dass unsere Mandantschaft ihre prozessualen Rechte zu wahren vermag. Dies gilt ganz besonders in Situationen, in denen eine Mandantin oder ein Mandant strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt ist.
Um dies dauerhaft qualitativ hochwertig leisten zu können, ist eine ständige Fortbildung unabdingbar. Aus gutem Grund ist die Bundesrechtsanwaltskammer gesetzlich verpflichtet, die berufliche Fortbildung der Anwaltschaft zu fördern; dies tut sie u.a. durch das Deutsche Anwaltsinstitut – eine gemeinnützige Aus- und Fortbildungseinrichtung von Bundesrechtsanwaltskammer, Bundesnotarkammer sowie einzelnen Rechtsanwalts- und Notarkammern mit einem breiten Seminarangebot.
Zweitens, und nicht minder wichtig, muss anwaltliche Beratung und Vertretung Rechtsuchenden unabhängig von ihrer finanziellen Situation zur Verfügung stehen. Die Übernahme von Prozesskosten- und Beratungshilfe-Mandaten ist deshalb vornehmste anwaltliche Pflicht. Und aus gutem Grund hat die Bundesrechtsanwaltskammer, ebenso wie der Deutsche Anwaltverein, mit ihren Fachausschüssen ein Auge darauf, dass durch gesetzgeberische Aktivitäten in diesem Bereich Verbesserungen für Rechtsuchende verwirklicht werden. Selbstverständlich muss dabei sein, dass auch finanziell nicht so leistungsstarke Rechtsuchende ein Recht auf freie Anwaltswahl haben. So viel sollte uns der Rechtsstaat wert sein!
Anwaltliche Interessenvertretung ist, drittens, undenkbar, wenn sie nicht auf Augenhöhe mit den übrigen Akteuren im Rechtsstaat, insbesondere mit Gerichten und Staatsanwaltschaften, stattfindet. Nur eine unabhängige Anwaltschaft ist in einer solchen Position. Unabhängigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang zuvörderst: Unabhängigkeit vom Staat. Denn die Beratung und Vertretung unserer Mandanten kann nur dann ausschließlich an deren Interessen ausgerichtet sein, wenn sie frei von staatlichen Einflüssen erfolgt. Und das bedeutet, gegenläufigen Tendenzen auf europäischer Ebene zum Trotz: Die Unabhängigkeit der Anwaltschaft kann nur dadurch garantiert werden, dass sie sich durch Rechtsanwaltskammern selbst verwaltet. Die anwaltliche Selbstverwaltung muss erhalten werden; jegliche staatliche Einflussnahme auf Anwaltschaft und Justizorgane hat zu unterbleiben.
Undenkbar ist eine qualifizierte anwaltliche Beratung und Vertretung, viertens, ohne die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht und das mit ihr korrespondierende Schweigerecht. Immer wieder ist die Verschwiegenheit allerdings Begehrlichkeiten von Seiten des Gesetzgebers ausgesetzt – dies zeigen aktuelle Gesetzesvorhaben im Strafprozess-, Datenschutz- oder Steuerrecht, in der Geldwäsche-Prävention und auch im Zivilprozessrecht. Das prominenteste und zugleich aus meiner Sicht erschreckendste Beispiel ist die "Meldepflicht", welche die Richtlinie 2018/822/EU seit dem Sommer 2018 vorsieht. Intermediäre – insbesondere Rechtsanwälte und Steuerberater – müssen danach potenziell aggressive "Steuermodelle" den nationalen Behörden melden; ausnahmsweise kann die Meldepflicht auch den Mandanten selbst betreffen.
Die Meldepflicht kollidiert nicht nur mit der zugleich vertragsrechtlichen Verpflichtung, seinen Mandanten umfassend zu beraten und, soweit legal möglich, seine Steuerlast zu senken – anderenfalls drohen Regressforderungen des Mandanten. Die Meldepflicht bedeutet damit auch einen massiven Eingriff in das Mandatsgeheimnis. Über die reine Umsetzung der Richtlinie hinaus will der deutsche Gesetzgeber solche Meldepflichten übrigens auch für rein innerdeutsche Sachverhalte einführen. Dem ist entschieden entgegenzutreten! Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, hinreichend klare Steuergesetze zu schaffen, und es ist Aufgabe der Finanzverwaltung, unerwünschte Steuergestaltungen aufzudecken und zu unterbinden. Anwältinnen und Anwälte dürfen nicht zu "Hilfssheriffs" der Finanzverwaltung gemacht werden; sie sind aus gutem Grund allein den Interessen ihrer Mandantschaft verpflichtet.
Unabdingbare Voraussetzung für eine funktionierende Anwaltschaft ist – und damit komme ich zu einem g...