Unabhängig von dogmatischen Feinheiten können Ausschlüsse auf der Tatbestandsebene eingreifen. Dabei sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden:
a) Fallgruppe 1: Normgerechtes und empfohlenes Verhalten
Der Infizierte, Krankheitsverdächtige oder Ansteckungsverdächtige hält sich an die auferlegte Quarantäne oder die angeordneten Beschränkungen und folgt auch den allgemeinen Empfehlungen wie Abstandhalten, regelmäßiges Händewaschen oder sich möglichst zu Hause aufzuhalten bis hin zur freiwilligen "Quarantäne". Gleichwohl kann es zu vorhersehbaren Infektionen anderer Personen kommen. Dies ist etwa denkbar im engen Zusammenleben mehrerer Personen, am Arbeitsplatz oder bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel.
aa) Sozialadäquanz und erlaubtes Risiko
Unter Sozialadäquanz sind Verhaltensweisen zu verstehen, die zwar einen Straftatbestand formal erfüllen, aber im Rahmen der normalen sozialen Ordnung des Lebens liegen (Fischer, Vor § 32 Rn 12; Schönke/Schröder/Eisele, Vor § 13 Rn 69 f.). Weitergehend wird beim sog. erlaubten Risiko die Schaffung geringerer Risiken etwa bei gesellschaftlich anerkanntem oder verkehrsgerechtem Verhalten zumindest die objektive Zurechnung eines kausal bewirkten Erfolgs ausgeschlossen (näher Fischer, Vor § 32 Rn 13, Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 Rn 70c, 93 jew. m.N.). Der BGH hat "bei alltäglichen und landläufigen Infekten" wie etwa bei Erkältungskrankheiten, die geradezu "in der Luft" liegen und damit im menschlichen Zusammenleben kaum abschirmbar sind und die zudem regelmäßig keine erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer herbeiführen, eine Sozialadäquanz angenommen (BGHSt 36, 1 Rn 39 = NJW 1989, 781; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, vor § 32 Rn 107c bei Ansteckung von Vorlesungsteilnehmern durch einen stark erkälteten Kommilitonen; LK/Laufhütte, 12. Aufl. 2018, § 223 Rn 31). Bei einem ungeschützten Sexualverkehr eines HIV-Infizierten ist das jedoch anders, "weil jede HIV-Übertragung einen lebenslang wirkenden, mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich verlaufenden Eingriff in Lebensgüter des Infizierten darstellt und weil beim Sexualverkehr als wichtigstem Übertragungsweg für AIDS die Ansteckungsgefahr in zumutbarer Weise durch Benutzung von Kondomen wenn auch nicht völlig ausgeschlossen, so doch zumindest abgeschirmt und damit wesentlich verringert werden kann" (BGH a.a.O.). Der Gefährlichkeitsgrad von SARS-CoV-2 liegt zwischen HI-Virus einerseits und einfachen Erkältungskrankheiten andererseits. Obwohl SARS-CoV-2 unter das IfSG fällt, liegt bei norm- und empfehlungsgemäßem Verhalten eines Infizierten, Krankheitsverdächtigen oder Ansteckungsverdächtigen eine hinreichende Abschirmung vor und ist eine wesentliche Verringerung der Ansteckungsgefahr anzunehmen (wohl a.A. LK/Laufhütte, a.a.O.). Eine dennoch verursachte Infektion eines anderen liegt dann innerhalb der Grenzen des allgemeinen Lebensrisikos.
bb) Eigenverantwortliche Selbstgefährdung
Folgt man dem generell oder jedenfalls bei Kenntnis des Infizierten von seiner Infektion nicht, kommen die zuvor genannten Tatbestandsausschlüsse nicht in Betracht. Die objektive Zurechnung des Erfolgsunrechts zu einem Verhalten kann aber ausgeschlossen sein, wenn eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Verletzten vorliegt. Nicht strafbar macht sich, wer das zu einer Selbstverletzung führende eigenverantwortliche Handeln des Selbstschädigers vorsätzlich oder fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert, sofern er nicht kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Verletzende (BGHSt 32, 262). Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bzw. -schädigung und der grds. tatbestandsmäßigen Fremdschädigung eines anderen ist die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme. Liegt die Tatherrschaft über die Gefährdungs- bzw. Schädigungshandlung nicht allein beim Gefährdeten bzw. Geschädigten, bleibt die Zurechnung bestehen (zur Tötung des Beifahrers bei einem verabredeten Autorennen BGHSt 53, 55 = NJW 2009, 1155 = VRR 2009, 109 = StRR 2009, 228 [jew. Deutscher]). Das Vorliegen der Tatherrschaft ist in den hier relevanten Fällen fraglich. Einerseits geht die Tathandlung des Infizierens vom bereits Infizierten aus. Andererseits begibt sich der Verletzte bei Kenntnis der vorhandenen Infektion des anderen bewusst und freiwillig in eine Gefahrensituation, aus der er sich anders als der Beifahrer während eines laufenden Autorennens jederzeit wieder zurückziehen könnte, sei es im häuslich-familiären Bereich oder in der Öffentlichkeit. Zudem hat der BGH eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung beim ungeschützten Sexualverkehr mit einem HIV-Infizierten nur unter dem Gesichtspunkt ausgeschlossen, dass der Verletzte von der Infektion keine Kenntnis hatte (Virus BGHSt 36, 1 Rn 38 ff. = NJW 1989, 781; AG Hamburg NJW 1989, 2071). Nimmt man in den Blick, dass das bewusste Sich-Begeben in die Nähe einer mit SARS-CoV-2 infizierten Person ein von dem Verletzten gesteuertes und beherrschtes Verhalten ist, kann die objektive Zurechnung ausgeschlossen werden, sofern Infizierter und Verletzter sich ...