a) Dolus eventualis
Trotz der hohen Gefahr der Infektionsübertragung bei näherem Kontakt zum SARS-CoV-2-Infizierten wird ihm vielfach diese Gefahr zwar in ihren Umrissen angesichts des Umfangs der medialen Berichterstattung bekannt sein, er aber etwa bei Mitbewohnern oder nahestehenden Personen gleichwohl darauf hoffen, dass es nicht zur Infektion des anderen kommt. Die hieraus resultierende Frage nach der Abgrenzung von dolus eventualis oder bloß bewusster Fahrlässigkeit stellt sich in gleicher Weise bei Personen, die noch nicht positiv getestet worden sind und daher keine positive Kenntnis ihrer Infektion haben (Krankheitsverdächtige oder Ansteckungsverdächtige), die aber die typischen Krankheitssymptome aufweisen (objektiver Verdachtsfall). Liegen weder eine positive Kenntnis der Infektion noch solche Symptome vor (kein Verdachtsfall), kann allenfalls unbewusste Fahrlässigkeit in Betracht kommen.
Die Annahme von dolus eventualis erfordert kumulativ als kognitives Element die Kenntnis von der Gefährlichkeit des Verhaltens und als voluntatives Element, dass der Täter den Eintritt des Erfolges billigend in Kauf nimmt (näher Fischer, § 15 Rn 12). Hier ist v.a. das voluntative Element von Bedeutung. Dessen Feststellung erfordert eine Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls und ist besonders beim Vorsatz bezüglich der Lebensgefährdung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zweifelhaft (BeckOK-StGB/Eschelbach, § 224 Rn 44, o. III 1). Hilfreich bei der erforderlichen Beurteilung des Einzelfalls sind folgende Kriterien (nach BeckOK-StGB/Kudlich, § 15 Rn 23):
- die objektive Gefährlichkeit der Handlung für das Rechtsgut und der Grad der Kenntnis vom Umfang der Gefahr, z.B. die Kenntnis vom Grad der Infektionswahrscheinlichkeit (BGH StV 2007, 402),
- die Wahrnehmungszeit (Spontanhandlung),
- das Vermeidungs- bzw. Gefahrverminderungsverhalten, ggf. auch die Hoffnung auf eine krankheitsvermeidende oder -verringernde Behandlung,
- die emotionale Nähe zwischen Täter und Opfer,
- die Dynamik des Geschehens,
- das Vorliegen oder Fehlen eines einleuchtenden Motivs,
- Alkohol- oder Drogenkonsum des Täters,
- als rückwirkendes Indiz das Nachtatverhalten.
b) Irrtümer
Kennt der Täter die bei ihm vorliegende Infektion nicht, dann liegt ein Tatbestandsirrtum vor, es bleibt die Möglichkeit der Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 16 Abs. 1 StGB). Gleiches gilt, wenn er die Gefährlichkeit seines Verhaltens nicht erkannt hat, was allerdings angesichts der umfangreichen Berichterstattung in allen Medien und der Folgen im öffentlichen Leben in der Praxis kaum denkbar sein dürfte. Sieht er sich trotz Kenntnis all dieser Umstände gleichwohl als zu seinem Verhalten berechtigt an, handelt es sich um einen vermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 StGB). Hält sich der Täter irrtümlich für infiziert oder ansteckend, begeht er einen untauglichen Versuch (AG Nürtingen StV 2009, 418).