Gemäß § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und S. 2 SGB VII haben Hinterbliebene von Versicherten Anspruch auf Hinterbliebenenrenten, wenn der Tod des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls – dies sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten – eingetreten ist. Nach § 67 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII erhalten Kinder von verstorbenen Versicherten eine Halbwaisenrente, wenn sie noch einen Elternteil haben. Diese Rente wird regelmäßig bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs gezahlt, darüber hinaus bis zur Vollendung des 27. Lebensjahrs, wenn sich die Waise in Schul- oder Berufsausbildung befindet, § 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2a SGB VII. Eine Schul- oder Berufsausbildung im Sinne dieser Vorschrift liegt nur dann vor, wenn die Ausbildung einen tatsächlichen zeitlichen Aufwand von wöchentlich mehr als 20 Stunden erfordert.
Dem BSG lagen zwei Parallelverfahren zur Entscheidung vor, in denen die jeweils über 18 Jahre alten hinterbliebenen Kinder (infolge eines Versicherungsfalls ihres tödlich verunglückten Elternteils) nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung eine Fachoberschule besuchten bzw. ein akademisches Studium aufnahmen. Die beklagten Unfallversicherungsträger verweigerten Halbwaisenrente für die Zweitausbildung unter Hinweis auf den Wortlaut von § 67 Abs. 3 Nr. 2a SGB VII, der die Dauer der Rente auf "Schulausbildung oder Berufsausbildung" beschränkt, also nicht für beide Ausbildungsarten hintereinander gewährt. Die Revisionen gegen die den Klagen stattgebenden Berufungsurteile wies das BSG am 7.5.2019 zurück (B 2 U 27/17 R, hierzu Plagemann, FD-SozVR 2019, 421106 und B 2 U 30/17 R, NJW 2020, 103, hierzu Kainz, NZS 2019, 868).
Das Gericht bejaht einen Anspruch der Klägerinnen als Hinterbliebene der Versicherten auf Zahlung der Halbwaisenrente, weil sie sich trotz einer bereits abgeschlossenen Ausbildung weiter in Berufsausbildung nach § 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2a SGB VII befanden und das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Unter Berufsausbildung versteht das BSG unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung die Ausbildung für den späteren Beruf, und zwar eine auf Dauer angelegte Arbeit, die der Existenzsicherung dient und geeignet ist, in der Gesellschaft auftretende materielle oder geistige Bedürfnisse zu befriedigen und zu der die Befähigung durch Ausbildung erworben wird. Eine Berufsausbildung erfordert, dass dem Betreffenden durch eine hierfür qualifizierte Ausbildungssituation die für den Beruf notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten planmäßig vermittelt werden, sodass er Fähigkeiten erlangen kann, welche die Ausübung des künftigen Berufs ermöglichen. Unerheblich ist, so das BSG, dass die Klägerinnen bereits eine Ausbildung erfolgreich durchlaufen und abgeschlossen hatten, als sie eine weitere Berufsausbildung aufnahmen. Auch während einer weiteren Berufsausbildung besteht der Halbwaisenrentenanspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Es sei bedeutungslos, dass Ausbildungsförderung gem. § 7 Abs. 1 S. 1 BAföG grds. nur für Erstausbildung bis zu einem berufsqualifizierenden Abschluss geleistet wird und ob die Klägerinnen gem. § 1610 Abs. 2 BGB gegen den Versicherten, wenn er noch lebte, Anspruch auf Ausbildungsunterhalt für die weitere Berufsausbildung gehabt hätten. Eine entsprechende Beschränkung enthalte § 67 Abs. 3 S. 1 Nr. 2a SGB VII als ungeschriebenes (negatives) Tatbestandsmerkmal bzw. Ausnahmetatbestand nicht, da § 31 SGB I über den allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) hinaus bestimmt, dass Rechte in den Sozialleistungsbereichen, zu denen auch die Renten an Hinterbliebene aus der gesetzlichen Unfallversicherung zählen (§ 22 Abs. 1 Nr. 4 SGB I) nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden dürfen, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Mit der insoweit notwendigen "Schriftlichkeit" ist die – gedankliche – Hinzufügung ungeschriebener gesetzlicher Tatbestandsmerkmale zulasten Versicherter und ihrer Hinterbliebenen grds. unvereinbar.
Ferner sei auch der Normwortlaut nicht im Wege teleologischer Reduktion (Restriktion) auf Erstausbildungen einzuengen. Dies ergebe die Auslegung anhand der anerkannten Methoden der Gesetzesinterpretation nach
- dem Wortlaut der Norm,
- dem systematischen Zusammenhang,
- der Entstehungsgeschichte sowie
- ihrem Sinn und Zweck.
Mit diesen Methoden ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers zu ermitteln, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Dies wird im Einzelnen umfangreich begründet.
Hinweis:
Plagemann (a.a.O.) weist zu Recht auf diese besonders lesenswerte Rechtsprechung hin, weil sie den Praktikern vor Augen führt, wie eine sorgfältige und den Gegebenheiten des modernen Sozialstaats entsprechende Gesetzesexegese zu erfolgen hat. Eine vollständige Lektüre ist u.E. auch unabhängig von der konkret zu beurteilenden Rechtsfrage empfehlenswert und verspricht methodischen Gewinn.