Wird über eine zunächst nach § 41a Abs. 1 S. 1 SGB II vorläufig gewährte Leistung abschließend entschieden, ist grds. vom durchschnittlichen Einkommen auszugehen, § 41 Abs. 4 S. 1 SGB II, sofern nicht ein Ausnahmefall nach § 41a Abs. 4 S. 2 SGB II vorliegt. Das BSG hatte zu entscheiden, ob darüber hinaus von der Berechnung des Durchschnittseinkommens abgesehen werden kann, wenn nicht wegen schwankenden Einkommens, sondern aus anderen Gründen vorläufig entschieden wurde. Außerdem zeigte es auf, wie das Durchschnittseinkommen zu berechnen ist.
Die 1996 geborene Klägerin war Mitglied der nach ihrer Mutter gebildeten Bedarfsgemeinschaft. Die Mutter bezog für die Klägerin Kindergeld i.H.v. 190 EUR monatlich. Nach Einzug des neuen Ehemanns der Mutter in deren Wohnung wurde das Arbeitslosengeld II für die Monate Mai bis Oktober 2016 nur vorläufig geleistet. Im Juli 2016 nahm die Klägerin eine Erwerbstätigkeit auf, aus der sie für Juli 2016 42,50 EUR und ab September 2016 jeweils 85 EUR brutto und netto bezog. Das Einkommen wurde jeweils im Folgemonat ausgezahlt. Das Kindergeld wurde ab Juli 2016 mit Bescheid vom 10.6.2016 eingestellt. Ab November 2016 wurde wieder laufend Kindergeld gezahlt. Das Kindergeld für die Monate Juli bis Oktober 2016 wurde nachgezahlt. Das beklagte Jobcenter bewilligte in einer abschließenden Entscheidung vom 16.2.2017 für die Monate Mai und Juni 2016 Arbeitslosengeld II für die Klägerin in derselben Höhe wie in den davorliegenden Monaten (285,36 EUR). Mit ihrem als unbegründet zurückgewiesenen Widerspruch machte die Klägerin für Mai 2016 höhere Leistungen, mit der Klage höhere Leistungen für Mai und Juni 2016 geltend. Während das SG ihrer Klage stattgab, sprach ihr das LSG höhere Leistungen für Mai 2016 zu. Die Revision des Beklagten gegen die Verurteilung zu einer höheren Leistung für Mai 2016 wurde vom BSG durch Urt. v. 11.7.2019 – B 14 AS 44/18 R zurückgewiesen (s. hierzu Meißner, jurisPR-SozR 2/2020 Anm. 1).
Obwohl die Leistung vor Inkrafttreten von § 41a SGB II am 1.8.2016 vorläufig bewilligt wurde, musste das BSG wegen der Übergangsregelung in § 80 Abs. 2 Nr. 2 SGB II diese Vorschrift der Entscheidung zugrunde legen, weil der Bewilligungszeitraum am 1.8. noch nicht abgeschlossen war (s. hierzu auch das Urteil des BSG vom 18.9.2018 – B 4 AS 39/17 R).
Das BSG legte bei der abschließenden Entscheidung das monatliche Durchschnittseinkommen zugrunde. Weder Wortlaut, noch Entstehungsgeschichte, noch der Systematik noch dem Sinn und Zweck lasse sich entnehmen, dass nach § 41a Abs. 4 S. 1 SGB II das monatliche Einkommen nur bei Bezug von schwankendem Einkommen der Berechnung zugrunde zu legen ist. Da die mit dem § 41a Abs. 4 SGB II angestrebte Verwaltungsvereinfachung (BT-Drucks 18/8041) im Wortlaut keinen Niederschlag gefunden habe, könne nicht allein aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität die Berechnung des Durchschnittseinkommens eingeschränkt werden. Ob eine solche Auslegung der Verwaltungspraktikabilität diene, bezweifelte das BSG ohnehin.
Das Durchschnittseinkommen berechnete das BSG wie folgt: Zunächst addierte es die Einnahmen einer Einkommensart. Danach bereinigte es dieses nach den für diese Einkunftsart geltenden Vorschriften, § 11b SGB II. Auch das im Mai und Juni zugeflossene Kindergeld verteilte es gleichmäßig auf die sechs Monate des Bewilligungszeitraums. Anders als die Vorinstanzen minderte das BSG das Kindergeld nicht um die Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II–V, da diese bereits pauschal vom Erwerbstätigenabsetzungsbetrag nach § 11b Abs. 2 S. 1 SGB II umfasst sei. Das BSG bestätigte insoweit seine bisherige Rechtsprechung, nach der die Versicherungspauschale bei Zusammentreffen von Erwerbseinkommen und Kindergeld nur einmal abzuziehen ist (BSG, Urt. v. 5.6.2014 – B 4 AS 49/13 R, SozR 4-4200 § 11 Nr. 66 Rn 18 ff.; BSG Urt. v. 17.2.2015 – B 14 AS 1/14 R Rn 15 ff.).
Hinweis:
Nach den Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu § 41a Rn 41.27 werden die Jobcenter angewiesen, nur dann das Durchschnittseinkommen zu berechnen, wenn wegen schwankenden Einkommens vorläufig entschieden wurde. Die Entscheidung des BSG hat damit grundsätzliche Bedeutung. Diese Praxis ist nach der Entscheidung des BSG rechtswidrig. Da die fachlichen Weisungen "nur" Verwaltungsvorschriften sind, haben sie keine Rechtsnormqualität und sind damit nicht gerichtsverbindlich.
In der anwaltlichen Praxis sollte bei vorläufigen Entscheidungen generell kritisch geprüft werden, ob einer der gesetzlichen Gründe für eine vorläufige Entscheidung nach § 41a SGB II vorliegt.
Abzuwarten bleibt, wie die Zentrale der BA und der Gesetzgeber auf die Entscheidung reagieren werden.