Beim sog. Wechselmodell vereinbaren getrenntlebende Elternteile, dass die Kinder sich abwechselnd in längeren zeitlichen Intervallen – häufig ein oder zwei Wochen am Stück – beim einen oder beim anderen Elternteil aufhalten. Das BSG hatte zu entscheiden, ob ein Elternteil Leistungen für den Alleinerziehendenmehrbedarf und die Kinder Leistungen für Unterkunft beanspruchen können.
Der Kläger zu 1 ist Vater des 2003 geborenen Klägers zu 2 und des 2005 geborenen Klägers zu 3. Die Kläger zu 2 und zu 3 lebten zu gleichen Anteilen beim Kläger zu 1 und bei ihrer vom Kläger zu 1 getrenntlebenden Mutter. Das beklagte Jobcenter bewilligte vorläufig aufstockende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Im Widerspruchsverfahren gegen die vorläufige Bewilligung wurde durch Widerspruchsbescheid vom 9.9.2016 abschließend über die Leistungen entschieden. In dieser Entscheidung wurden die Aufwendungen für die Unterkunft kopfteilig auf die Kläger zu 1, 2 und 3 verteilt. Beim Verdienst wurde von einem monatlichen Durchschnittsverdienst des Klägers zu 1 ausgegangen. Die Anerkennung eines monatlichen Mehrbedarfs wurde abgelehnt. Das SG verurteilte den Beklagten, existenzsichernde Leistungen unter Berücksichtigung des monatlichen hälftigen Mehrbedarfszuschlags und des tatsächlichen monatlichen Einkommens zu gewähren. Hiergegen richtete sich die Sprungrevision des Beklagten.
Das BSG wandte im Anschluss an seine bisherige Rechtsprechung (BSG, Urt. v. 12.9.2018 – B 4 AS 39/17 R Rn 2 ff.) § 41a Abs. 4 SGB II nicht an, weil der Bewilligungszeitraum bei Inkrafttreten von § 41a SGB II bereits abgeschlossen war (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II). Im zu entscheidenden Fall musste deshalb nicht vom Durchschnittseinkommen, sondern vom tatsächlichen Monatseinkommen des Klägers zu 1 ausgegangen werden.
Das BSG sprach dem Kläger zu 1 einen hälftigen Mehrbedarfszuschlag nach § 21 Abs. 3 SGB II zu.
Hinweis:
Nach dieser Vorschrift haben Alleinerziehende, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und diese allein erziehen und pflegen, Anspruch auf einen Mehrbedarfszuschlag bei einem Kind unter sieben Jahren oder zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren i.H.v. 36 % ihres Regelbedarfs, derzeit also 155,52 EUR. Ergibt sich ein höherer Betrag, wenn je Kind 12 % des Regelbedarfs der alleinerziehenden Person gerechnet wird, wird dieser Betrag gezahlt, höchstens aber 60 % des maßgebenden Regelbedarfs.
Von alleiniger Sorge sei (zuletzt BSG, Urt. v. 12.11.2015 – B 14 AS 23/14 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 24 Rn 13; s. Pattar/Sartorius, ZAP F. 18, S. 1428) zwar grds. nur auszugehen, "wenn der hilfebedürftige Elternteil während der Betreuungszeit von dem anderen Elternteil, Partner oder anderen Personen nicht in einem Umfang unterstützt wird, dass von einer nachhaltigen Entlastung seiner Betreuungsverantwortung auszugehen ist". Das BSG hielt an seiner ständigen Rechtsprechung fest, nach der der Alleinerziehendenmehrbedarf hälftig anzuerkennen ist, wenn getrenntlebende Eltern sich in mindestens wöchentlichen Intervallen bei der Pflege und der Erziehung der gemeinsamen Kinder abwechseln und die Kosten etwa hälftig teilen (BSG, Urt. v. 3.3.2009 – B 4 AS 50/07 R, BSGE 102, 290; s. Pattar/Sartorius, ZAP F. 18, S. 1428; BSG, Urt. v. 2.7.2009 – B 14 AS 54/08 R, BSGE 104, 48). In dieser Konstellation hält es das BSG nicht für angemessen, keinen Mehrbedarf zuzuerkennen. Allerdings sei die Zahlung des vollen Mehrbedarfs nicht sachgerecht. Es begrenzt deshalb den zu gewährenden Mehrbedarf auf dessen Hälfte.
Grundsätzlichen Einwänden des Beklagten und von Teilen der Literatur (z.B. von Loose in Hohm, SGB II, § 21 Rn 16.3) gegen den Mehrbedarf folgte das BSG nicht. Diesen könne nur der Gesetzgeber begegnen. Dasselbe gelte wegen der Pauschalierung des Mehrbedarfs für die Forderung, den Mehrbedarf von einem Nachweis abhängig zu machen bzw. bei Schulkindern von der Anerkennung des Mehrbedarfs abzusehen.
Bezüglich der Unterkunftskosten präzisierte das BSG seine Rechtsprechung bei Fällen des Wechselmodells. Durch Urteil vom 17.2.2016 (B 4 AS 2/15 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 89 Rn 16) hatte es festgestellt, dass grundsicherungsrechtlich Wohnbedarf nur bei der Wohnung anzuerkennen ist, in der der Lebensmittelpunkt liegt, d.h. die überwiegend genutzt wird. Ist der Unterkunftsbedarf erhöht, weil ein umgangsberechtigter Elternteil das Umgangsrecht ausübt, das Kind aber seinen Lebensmittelpunkt beim anderen Elternteil hat, handelt es sich nach demselben Urteil nicht um Wohnbedarf des Kindes, sondern des umgangsberechtigten Elternteils. Etwas anderes gilt allerdings nach dem Urteil vom 11.7.2019 bei Kindern, bei denen das Wechselmodell praktiziert wird. Da bei diesen kein Lebensmittelpunkt festgestellt werden kann, berücksichtigte das BSG die Kinder bei beiden Elternteilen. Die Eltern über den Lebensmittelpunkt entscheiden zu lassen, lehnte es ab, weil auf die tatsächliche Lebenssituation abzustellen sei. Hierin sah das BSG keinen Widerspruch gegen das gesetzgeberische Konzept, den...