1. Krankengeldanspruch bei Aufenthalt im Ausland
Der gesetzlich krankenversicherte Kläger war vom 28.7.2014 bis mindestens zum 29.9.2014 arbeitsunfähig und erhielt ab dem 29.7.2014 von der Krankenkasse (KK) Krankengeld (KrG). Er teilte dieser am 2.9.2014 mit, er wolle in der Zeit vom 8.9. bis zum 12.9.2014 in den Urlaub nach Dänemark fahren und stehe in dieser Zeit weder in ärztlicher noch in physiotherapeutischer Behandlung, was er durch ärztliches Attest belegte. Aufgrund von Einwänden, die der Medizinische Dienst (MDK) gegen die Urlaubsreise erhob (der Gesundheitszustand des Klägers erlaube keine lange Autofahrt mit Wirbelsäulenzwangshaltungen und es sei auch nicht plausibel, dass während des Urlaubs keine Behandlung nötig sei), lehnte die Kasse die Zahlung von Krankengeld ab. Die Berufung des Klägers gegen das seine Klage abweisende Urteil des SG war erfolgreich. Das BSG wies mit Urt. v. 4.6.2019 – B 3 KR 23/18 R die Revision der KK zurück.
Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruht der Anspruch auf Leistungen, solange sich Versicherte im Ausland aufhalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts – insb. solche aus Anlass von Urlaubs- oder Geschäftsreisen – erkranken, soweit in diesem Gesetzbuch nicht Abweichendes (auch in Regelungen des supranationalen und internationalen Rechts, s. § 30 Abs. 2 SGB I, § 6 SGB IV, vgl. näher Rn 17 f. der Entscheidung) bestimmt ist. Nach dem supranationalen Recht richtet sich hier der Anspruch des Klägers nach dem Recht der beklagten KK, bei der der Versicherte seinen Leistungsantrag nach dem SGB V gestellt hat.
Eine im nationalen Recht verankerte, für die Versicherten günstige Ausnahmeregelung von der gesetzlichen Anordnung des Ruhens des Krankengelds bei Auslandsaufenthalt enthält § 16 Abs. 4 SGB V, wonach der Anspruch nicht ruht, solange sich Versicherte nach Eintritt der AU mit Zustimmung der KK im Ausland aufhalten. Der Anwendung dieser Vorschrift steht nicht entgegen, dass der Auslandsaufenthalt des Klägers in einem Mitgliedsstaat der EU stattfand. Das BSG teilt nicht die z.T. in der Kommentarliteratur vertretene Auffassung, § 16 SGB V finde bei einem Aufenthalt im EU-Ausland insgesamt keine Anwendung.
Das BSG führt weiter aus, es bestehe – auch insoweit entgegen der in der Literatur vertretenen Ansicht (s. etwa Peters in Kasseler Komm., Stand 3/2019, SGB V § 16 Rn 8) – ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Zustimmung nach § 16 Abs. 4 SGB V, die Entscheidung hierüber stehe nicht etwa im Ermessen der KK, da sich dem Wortlaut der Norm keine Anknüpfungspunkte für eine Ermessensermächtigung entnehmen ließen. Unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien konkretisiert der Senat die maßgeblichen Vorgaben für die Anforderungen an die Erteilung bzw. Ablehnung der Zustimmung unter Fortführung früherer Rechtsprechung (BSG, Urt. v. 8.6.1993 – 1 RK 18/92) wie folgt:
Mit dem gesetzlichen Erfordernis der Zustimmung der KK zum Auslandsaufenthalt für den Bezug von Krg wird der Regelungszweck verfolgt, die ungerechtfertigte Inanspruchnahme dieser Leistung zu vermeiden, unter Berücksichtigung der praktischen Schwierigkeiten, die bei der Feststellung von AU im Falle der Auslandsberührung typischerweise eher entstehen können als bei einem Inlandsaufenthalt. Insbesondere gehe es um die Vermeidung von Leistungsmissbrauch, wenn dem leistungsgewährenden (Mitglieds-)Staat eine wirksame Kontrolle, z.B. von ärztlichen AU-Bescheinigungen, infolge des Auslandsaufenthalts nicht möglich ist oder erschwert wird. Auf die Prüfung solcher "praktischer Gründe" müsse sich die Beklagte bei ihrer Entscheidung über die Zustimmung beschränken. Ein Ermessensspielraum bestehe dabei nicht, da der Krg-Anspruch als solcher als Rechtsanspruch ausgestaltet sei. Das Zustimmungserfordernis der KK habe damit die Funktion, die Kasse über den Auslandsaufenthalt zu informieren und ihr dadurch die Prüfung bzw. Kontrolle zu ermöglichen, ob die Voraussetzungen des Anspruchs beim Auslandsaufenthalt (fort-)bestehen oder ob sich Anhaltspunkte für einen Leistungsmissbrauch ergeben. Auf Grundlage der für das BSG bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG seien im Ergebnis keine Versagungsgründe ersichtlich, die einer Zustimmung der Beklagten entgegenstanden. Die vom MDK erhobenen Einwände gegen die Reise als solche betrafen auch nicht die ärztlich festgestellte AU. Die Bedenken, die Hin- und Rückreise von und nach Dänemark könnten gesundheitliche Einschränkungen verstärken und die AU möglicherweise noch verlängern, ständen dem nicht entgegen.
Hinweis:
Die Entscheidung des BSG sorgt für Rechtsklarheit (insb. im Hinblick auf z.T. abweichende Stellungnahmen in der Kommentarliteratur) und erweitert die Freiheitsräume der Krankengeldbezieher bei Auslandsreisen. Das Gericht weist allerdings abschließend darauf hin, bei Bedenken gegen die Reise aus dem Blickwinkel des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs. 1 SGB V) könne die KK u.U. die Versicherten zu entsprechendem Mitwirkungshandeln, etwa zur Teilnahme an einer ärztlichen Untersuchung (§ 62 SGB I) oder an einer...