Einen Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmittel regelt § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V. Dieser besteht für Versicherte in Form von Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um
- den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern,
- einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder
- eine Behinderung auszugleichen.
Ein solcher Anspruch besteht nach dem zweiten Halbsatz dieser Norm aber nicht, soweit die Hilfsmittel als allgemeine Gebrauchsgenstände des täglichen Lebens anzusehen sind, was insb. dann der Fall ist, wenn der Gegenstand für alle oder wenigstens für die Mehrzahl der Menschen unabhängig von Krankheit oder Behinderung unentbehrlich ist (s. Becker/Kingreen/Lungstras, SGB V, 7. Aufl. § 33 Rn 32) oder durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit die in § 34 Abs. 4 SGB V genannten Hilfsmittel hiervon ausgeschlossen sind.
Das BSG (Urt. v. 10.9.2020 – B 3 KR 15/19 R, hierzu Anm. Nellissen, Beitrag A24-2020, www.reha-recht.de; Plagemann FD-SozVersR 2021, 436040; Diehm NZS 2021, 110) hatte über das Begehren eines im Jahre 1999 geborenen Klägers zu urteilen, der bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert ist. Er leidet infolge eines Morbus Down-Syndroms an einer stark ausgeprägten geistigen Behinderung mit Weglauftendenz bei Orientierungslosigkeit und Selbstgefährdung (GdB von 100, Merkzeichen H, B und G). Es besteht der Pflegegrad 5 in der sozialen Pflegeversicherung (§ 15 Abs. 3 S. 4 Nr. 5 SGB XI: schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung). Er lebt im Haus seiner Mutter, die für sämtliche Angelegenheiten zur Betreuerin bestellt ist. Seinen bei der Beklagten gestellten Antrag auf Kostenübernahme für eine GPS unterstützte Uhr der Marke „Guard2me” blieb erfolglos. Es handelt sich hierbei um eine speziell für Demenzkranke entwickelte Armbanduhr mit integrierter Ortung sowie einem Webportal und einer App für ein Smartphone. Mittels GPS kann der genaue Aufenthaltsort des Trägers der Armbanduhr ermittelt werden und über das Mobilfunknetz an das Webportal oder auf ein Smartphone übertragen werden. Weiterhin ist es möglich, einen bestimmten Bewegungsraum auf der Uhr einzustellen, der, wenn er verlassen wird, zur Auslösung eines Alarms führt (siehe Nellissen, a.a.O., S. 2 m.w.N. in Fn 2). Die am Handgelenk befestigte Uhr kann nicht eigenständig von dem behinderten Menschen entfernt werden.
Die Revision der Beklagten gegen das den Anspruch des Klägers bejahende Berufungsurteil wurde zurückgewiesen. Dem Kläger steht die Uhr als Leistung zum Zweck des Behindertenausgleichs (§ 33 Abs. 1 S. 1 Var 3 SGB V) im Rahmen der medizinischen Rehabilitation zu.
Bei dem Behinderungsausgleich ist zwischen unmittelbarem und mittelbarem Ausgleich zu unterscheiden. Ersterer ist auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet, also auf den vollständigen Ausgleich der ausgefallenen Funktionen oder auf die Ergänzung eines nicht voll funktionsfähigen Körperorgans (s. Becker/Kingreen/Lungstras, SGB V, 7. Aufl. § 33 Rn 18).
Vorliegend geht es um den (mittelbaren) Ausgleich von Folgen einer Behinderung durch ein Hilfsmittel, das die ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktionen weder ganz noch weitestgehend ersetzen kann (Becker/Kingreen/Lungstras, SGB V, 7. Aufl. § 33). Hierbei wird ein Hilfsmittel nur dann von § 33 SGB V erfasst, wenn es die Wirkungen der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf/Gesellschaften/Freizeit), sondern im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu derartigen elementaren Grundbedürfnissen gehören die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen, ferner die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (Mobilität); ferner wird hiervon die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit Anderen, das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens und das Ermöglichen eines selbstständigen Wohnens umfasst (s. etwa Becker/Kingreen/Lungstras, SGB V, 7. Aufl. § 33 Rn 19 m.w.N.).
Die speziell für Menschen mit eingeschränkter Orientierungsfähigkeit entwickelte GPS-Uhr ermöglicht dem Kläger einen höheren Grad an Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit in der Mobilität und bei Aufenthalten an verschiedenen Orten in seiner Wohnung und im Nahbereich. Durch das Tragen der Uhr kann sein Aufenthalt in verschlossenen Räumen der Wohnung oder im abgesperrten Nahbereich zumindest verringert werden. Dies fördert die Unabhängigkeit in der selbstbestimmten Mobilität ohne das Risiko einer erhöhten Selbstgefährdung. Dieser Vorteil ist ein anzuerkennendes Grundbedürfnis im Rahmen der medizinischen Rehabilitation. Die fortwährende ...