Die Parteien streiten über den Anspruch des Klägers auf Erstattung von Kosten im Vorverfahren nach § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X. Beim Kläger war mit Bescheid des Beklagten vom 17.1.2017 ein Gesamt-GdB von 40 festgestellt. Hiergegen erhob er fristgerecht Widerspruch. Zur Begründung verwies er u.a. auf einem Rückenmarksverletzung im Bereich der Halswirbelsäule und legte hierzu einen ärztlichen Bericht vom 2.2.2017 (Tag der Untersuchung) vor. Mit Abhilfebescheid vom 14.8.2017 stellte der Beklagte nunmehr einen Gesamt-GdB von 60 seit dem 2.2.2017 fest, lehnte jedoch die Erstattung der dem Kläger im Widerspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen ab, weil der angefochtene Bescheid vom 17.1.2017 bei seinem Erlass rechtmäßig gewesen sei. Nach erfolglosem Widerspruch erhob der Kläger Klage, die in allen Instanzen erfolgreich war (BSG, Urt. v. 24.9.2020 – B 9 SB 4/19 R, hierzu Rieker, jurisPR-SozR 3/2021 Anm. 4).
Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrte Kostenerstattung ist § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X, wonach der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen VA erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen zu erstatten hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Der Widerspruch war vorliegend erfolgreich, weil das auf den Widerspruch hin folgende Verfahren zu einer abhelfenden Entscheidung des Beklagten geführt hat.
Der Widerspruch, mit dessen Begründung der Kläger den maßgeblich zum Erfolg führenden neuen medizinischen Sachverhalt (Befund vom 2.2.2017) vorgetragen und belegt hat, ist auch kausal für die vom Beklagten vorgenommene höhere Bewertung des Gesamt-GdB ab dem 2.2.2017. Das BSG hat bereits entschieden, dass, wenn und soweit der Widerspruchsführer im Widerspruchsverfahren von einer Rechtsänderung zu seinen Gunsten profitiert, neben dieser Änderung auch der Widerspruch ursächlich für den Erfolg i.S.d. § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X ist (s. BSG, Urt. v. 13.10.2010 – B 6 KA 29/09 R). Nichts anderes könne, so das BSG, für die wertungsmäßig vergleichbare Situation gelten, in der, wie im Fall des Klägers, während des Widerspruchsverfahrens eine entscheidungserhebliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu einer für den Widerspruchsführer positiven (rechtlichen) Beurteilung eines höheren Gesamt-GdB führt.
Dies wäre jedoch anders zu beurteilen, wenn der Widerspruchsführer während des Widerspruchsverfahrens eine Handlung nachholt, die er im Verwaltungsverfahren bis zur Erteilung des angefochtenen Bescheids pflichtwidrig unterlassen hat. In diesem Fall wäre die „abhelfende” Entscheidung der Behörde dann im Rechtssinne nicht dem Widerspruch, sondern der nachträglichen Erfüllung von Mitwirkungspflichten zuzurechnen. Eine solche Fallkonstellation liegt jedoch hier nicht vor.
Ferner, so das BSG, stehe dem Kostenerstattungsanspruch in einem Widerspruchsverfahren nicht entgegen, dass ein Berechtigter bei einer Änderung seiner gesundheitlichen Verhältnisse alternativ auch die Möglichkeit hat, kostenfrei einen Antrag auf Neufeststellung (maßgebliche Rechtsgrundlage hierfür ist § 48 Abs. 1 SGB X) eines höheren Gesamt-GdB zu stellen. Beide Verfahren seien eigenständig. Sie schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich funktions- und bereichsspezifisch.
Schließlich verweist das Gericht darauf, § 60 Abs. 1 S. 1 SGB X sehe für den Verwaltungsträger kein Ermessen, sondern eine gebundene Entscheidung über die Kostentragung bei einem erfolgreichen Widerspruch vor. Die Kostenlast nach dieser Vorschrift trifft die Verwaltung damit im Erfolgsfall zwingend, und nicht aufgrund einer Ermessensentscheidung wie nach § 193 Abs. 1 SGG.
Hinweise:
- Die Rechtslage ist insoweit anders, als im sozialgerichtlichen Verfahren: Dort kann der Verwaltungsträger einer Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Klägers unverzüglich nach Kenntnis Rechnung tragen und anerkennen. Dann kann eine Kostenentscheidung unter Anwendung des Rechtsgedankens des § 93 ZPO zugunsten der Behörde ergehen (s. hierzu etwa Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 193 Rn 12 c, ferner 12 d u. 13 a, jeweils m.w.N.).
- Ein bestandskräftig gewordene Bescheid nach § 63 SGB X über die Erstattung von Aufwendungen eines im Widerspruchsverfahren tätig gewordenen Bevollmächtigten schließt die nachträgliche Korrektur der Kostennote – wegen versehentlich nicht geltend gemachter Posten – nicht aus (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 30.6.2020 – L 11 KR 4539/18).