Ausnahmen von dem Prinzip der Berücksichtigung aller Einnahmen bei der Leistungsgewährung (§ 11 SGB II) beinhaltet § 11a SGB II. Das BSG hat in seinem Urteil vom 17.9.2020 (B 4 AS 3/20 R) entschieden, wie Zuwendungen aus einem Zuverdienstprojekt der freien Wohlfahrtspflege als Einkommen anzurechnen sind (s. hierzu auch Plagemann FD-SozVR 2020, 434739).
Der seit 2010 laufend Arbeitslosengeld II beziehende Kläger war zunächst im Rahmen eines Minijobs bei einem Caritasverband beschäftigt. Ab dem 1.1.2015 übte er eine Tätigkeit mit vergleichbaren Inhalten bei diesem Caritasverband im Rahmen eines Zuverdienstprojekts „Bereitstellung von Betreuungsplätzen als Beschäftigungsmöglichkeiten” mit bis zu 14,99 Stunden wöchentlich aus. Er erhielt eine Motivationszuwendung i.H.v. 5 EUR pro Anwesenheitsstunde. Seine Einnahmen aus dem Projekt betrugen zwischen Februar 2015 und September 2015 zwischen 127,25 EUR und 295 EUR im Monat. Der Beklagte bewilligte Arbeitslosengeld II vom 1.10.2014 bis 30.9.2015 bzw. vom 1.1.2015 bis 30.9.2015 durch Bescheide vom 2.9.2014 bzw. vom 30.9.2015 vorläufig. Dabei wurde ein prognostisches Einkommen aus einem sog. Minijob i.H.v. 300 EUR angesetzt. Widerspruch und Klage vor dem SG blieben erfolglos. Das LSG entschied in Anlehnung an die Regelung der Anrechnung von Einnahmen aus Freiwilligendiensten in § 11b Abs. 2 SGB II, dass nur die monatlichen Zahlungen, die 200 EUR übersteigen abzüglich der Versicherungsbeiträge als Einkommen anzurechnen sind. Der Beklagte rügte mit seiner Revision eine Verletzung von § 11a Abs. 4 SGB II.
Das BSG qualifizierte die Motivationszuwendung als Einkommen. Art, Quelle und Grund der Einkünfte seien für die Qualifikation als Einkommen unerheblich.
Hinweis:
Das BSG rechnet zum Einkommen alles, was in der Bedarfszeit wertmäßig zufließt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses, außer der Gesetzgeber oder der Verordnungsgeber hat einen anderen Zeitpunkt bestimmt (sog. modifiziertes Zuflussprinzip: BSG, Urt. v. 30.7.2008 – B 14 AS 26/07 R), z.B. die Fiktion der Rückwirkung des Antrags nach § 37 Abs. 2 S. 1 SGB II oder die Verteilung einmaliger Einnahmen auf mehrere Monate nach § 11 Abs. 3 S. 4 SGB II). Vermögen ist all das, was bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit bereits vorhanden ist (s. etwa BSG, Urt. v. 9.8.2018 – B 14 AS 20/17 R, s. ZAP F. 18, S. 1631 f., wobei als maßgebliche Grenze für die Abgrenzung der Leistungsantrag nach § 37 SGB II anzusehen ist, BSG, Urt. v. 24.4.2015 – B 4 AS 22/14 R, s. ZAP F. 18, S. 1430).
Weiter musste geprüft werden, ob die Motivationszuwendung durch § 11a Abs. 4 SGB II von der Anrechnung ausgenommen ist. Hiernach werden Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege nicht auf Leistungen nach dem SGB II angerechnet, wenn sie „die Lage der Empfängerinnen und Empfänger nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch [also nach dem SGB II, Anm. des Verf.] nicht gerechtfertigt wären.”
§ 11a Abs. 4 SGB II unterfallen nur Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege. Der Caritasverband ist ein Träger der freien Wohlfahrtspflege (BSG, Urt. v. 3.7.2020 – B 8 SO 27/18 R, Rn 18 f.). Um eine Zuwendung nach § 11 Abs. 4 SGB II handelt es sich nur, wenn die Zahlung nicht als Erwerbseinkommen zu qualifizieren ist. Erwerbseinkommen ist nach den Ausführungen des BSG dadurch gekennzeichnet, dass ihm ein wirtschaftliches Austauschverhältnis zugrunde liegt, in dem fremdnützige Arbeit gegen Entgelt erbracht und die berechtigte Person befähigt wird, zumindest teilweise für ihre Lebensgrundlage aus eigenen Mitteln zu sorgen (so bereits BSG, Urt. v. 16.6.2015 – B 4 AS 37/14 R). Zu den Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege nach § 11a Abs. 4 SGB II rechnet das BSG demgegenüber „Leistungen der Existenzsicherung zum Wohle des Leistungsberechtigten”, denen kein synallagmatisches Austauschverhältnis zugrunde liegt (so etwa BSG, Urt. v. 28.2.2013 – B 8 SO 12/11 R, BSGE 113, 86). Ein wichtiges Indiz ist die Höhe der Bezüge. Das BSG stellt bei der Abgrenzung auf die tatsächlichen Verhältnisse und nicht allein auf die vertraglichen Inhalte ab. Zu klären ist, welche Tätigkeiten ausgeübt werden, welche gesundheitlichen Einschränkungen vorliegen und welche wirtschaftlichen Werte geschaffen werden und ob das Verhältnis überwiegend durch rehabilitative und soziale Zwecke geprägt ist. Der Stundenlohn von 5 EUR im entschiedenen Fall deutet nach den Ausführungen des BSG darauf hin, dass neben der bloßen Anwesenheit des Klägers auch die geschaffenen wirtschaftlichen Werte berücksichtigt werden. Insbesondere deshalb, weil der Kläger zuvor dieselbe Tätigkeit als sog. Minijob ausgeübt hatte.
Nach § 11a Abs. 4 SGB II besteht von der grundsätzlichen Freistellung der Zuwendungen der Träger der freien Wohlfahrtspflege eine Ausnahme, soweit die Lage der leistungsberechtigten Person so günstig beeinflusst wird, dass die Freistellung nicht mehr gerechtfertigt wäre. Bei dieser Gerechtfertigkeitsprüfung unterliegen die SGB II-Träger voller gerichtlicher Kontrolle (R...