Den vom BSG am 14.5.2020 (B 14 AS 28/19 R, s. hierzu Lehmann NZS 2020, 1000) entschiedenen Fall betraf folgender Sachverhalt: Der Kläger und seine Familie erhielten Leistungen nach dem SGB II durch das (im Rechtsstreit beigeladene) Jobcenter. Dieses erließ wegen unterschiedlich hohen Einkommens der Berechtigten als Änderungsbescheide bezeichnete Verwaltungsakte sowie entsprechende Aufhebungs- und Erstattungsbescheide. Den Einzug der Forderungen des Jobcenters betrieb die beklagte Bundesagentur für Arbeit (BA).
Die Klage des Klägers auf Feststellung einer (nur beschränkt noch bestehenden) Höhe der von der BA geltend gemachten Forderungen und – hilfsweise – auf deren teilweisen Erlass wiesen die Vorinstanzen unter anderem mit der Begründung ab, zwischen den Parteien bestehe kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Dem folgt das BSG nicht, die Revision war im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung (§ 170 Abs. 2 S. 2 SGG) begründet. Eine abschließende Entscheidung über das Feststellungsbegehren wird das LSG i.R.d. Fortführung des Verfahrens zu treffen haben und dann auch über den Hilfsantrag entscheiden müssen, der vom Ausgang des Verfahrens zum Hauptantrag abhängt.
Das BSG sieht die Klage auf Feststellung zur Höhe der von der Beklagten berechtigt geltend zu machenden Forderungen als zulässig an, weil
- das Rechtsschutzbegehren des Klägers effektiv nicht durch eine vorrangige Klageart erreicht werden kann,
- ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis i.S.d. § 55 SGG vorliegt und
- ein Feststellungsinteresse besteht, wobei es eines vorherigen Feststellungsantrags bei der Beklagten nicht bedurfte.
Zwar gilt die grundsätzliche Subsidiarität von Feststellungsklagen zu Leistungs- und Gestaltungsklagen auch im sozialgerichtlichen Verfahren. Dieser Grundsatz greift jedoch nicht ein, wenn das Klageziel nicht mit einer – an sich vorrangigen – Klageart erreicht werden kann. In Rn 16–18 der Entscheidungsgründe führt das Gericht aus, warum der Kläger weder auf einen im Wege der echten Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) zu verfolgenden Auskunftsanspruch, noch auf das sog. Zugunstenverfahren nach § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 SGB X oder sonst auf vorrangige vollstreckungsrechtliche Rechtsbehelfe verwiesen werden kann.
Das feststellungsfähige Rechtsverhältnis i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG des Klägers zur Beklagten ist hier durch die im Streit stehende Berechtigung der Beklagten begründet worden, wegen vom Kläger bestrittener Erstattungsforderungen die Vollstreckung einzuleiten. § 40 Abs. 8 SGB II verweist für die Vollstreckung von SGB II-Geldforderungen in erster Linie auf das VwVG des Bundes. Bei der Vollstreckung auf Grundlage dieses Gesetzes bestehen Rechtsverhältnisse zwischen drei Beteiligten (Vollstreckungsgläubiger, Vollstreckungsschuldner und Vollstreckungsbehörde), wenn der Vollstreckungsgläubiger zugleich die Vollstreckung einleitet, also nach § 3 Abs. 3 VwVG Anordnungsbehörde ist. Anders liegt es in Fällen, in denen als Anordnungsbehörde eine weitere Behörde gegenüber dem Vollstreckungsschuldner als Adressaten der Zahlungsaufforderung auftritt. Geschieht dies und wird hierbei geltend gemacht, es bestehe die Berechtigung, Forderungen des Vollstreckungsgläubigers einzuziehen, sowie – ausgesprochen oder unausgesprochen – über die Rechtsmacht zu verfügen, deswegen die Zwangsvollstreckung einleiten zu können, begründet dies ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis unmittelbar zwischen dem Adressaten der Zahlungsaufforderung und ihr selbst zu der Frage, ob die Voraussetzungen für die Einleitung einer Vollstreckung (§ 3 Abs. 2 VwVG) vorliegen. Diese Rolle hat die Beklagte im vorliegenden Fall eingenommen.
Das berechtigte Feststellungsinteresse des Klägers im Hinblick auf den Inhalt eines in Bezug auf die Beklagte bestehenden Rechtsverhältnisses wird darin gesehen, dass die Unsicherheit über die der Vollstreckung zugrunde liegenden Forderungen weiter besteht.
Eine Entscheidung über die Begründetheit des Feststellungsantrags ist dem BSG mangels ausreichender Feststellungen verwehrt, da anhand des Urteils des LSG sich nicht beurteilen lässt, ob der Beklagten der Einzug der Forderungen des Jobcenters – hier vor allem wegen der Anordnung der Vollstreckung – wirksam übertragen (vgl. hierzu §§ 44b Abs. 1 S. 2 u. Abs. 4, 44c Abs. 2 S. 2 Nr. 4 SGB II) worden ist. Ferner ist offen, ob und ggf. wegen welcher Forderungen die Voraussetzungen für die Einleitung der Vollstreckung vorliegen. Deswegen ist noch zu klären, ob wirksame Leistungsbescheide vorliegen oder festgesetzte Forderungen schon ausgeglichen sind. Dies alles wird bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung vor dem LSG zu prüfen sein.
Hinweise:
Zum Vorgehen bei rechtswidrigen Mahnschreiben und ebensolchen Vollstreckungsandrohungen durch den Inkassoservice der Agentur für Arbeit Recklinghausen ist zu beachten:
- Häufig wird die Bezahlung von Beträgen aus Erstattungsbescheiden unter zusätzlichem Ansatz einer Mahngebühr angefordert, obwohl die Forderung wegen der aufschiebenden Wirkung des...