Leistungen der sozialen Pflegeversicherung erfolgen nur auf Antrag (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB XI) und werden grds. erst ab Antragstellung gewährt. Dem BSG lag ein Sachverhalt zur Entscheidung vor, bei dem die Antragstellung wegen Verletzung sozialrechtlicher Informations- und Beratungspflichten verspätet erfolgte und gleichwohl Leistungen für die Zeit vor Antragstellung geltend gemacht wurden:
Der 2003 geborene Kläger wurde in einer Universitätsklinik im Mai 2013 an einem Hirntumor operiert. Er erhielt an verschiedenen Tagen, u.a. im Juni und Juli 2013 in der Klinik eine stationäre kombinierte Strahlen-/Chemotherapie. Erst im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme im Zeitraum Oktober bis November 2014 erfuhren die Eltern des Klägers von der Möglichkeit, Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu erhalten und beantragten diese. Die Anspruchsberechtigung dem Grunde nach stand nicht im Streit. Die Beklagte gewährte die Leistung jedoch erst ab Antragstellung. Der Kläger trug vor, er sei pflichtwidrig von der Klinik nicht bereits im Juli 2013 darauf hingewiesen worden, damals habe sich ein Eintritt von Pflegebedürftigkeit als nicht untypische Folge der Tumorbehandlung abgezeichnet. Dieses Verhalten der Klinik sei der Pflegekasse zuzurechnen, sodass diese im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu behandeln sei, als ob er den Antrag für dieses Leistungsbegehren rechtzeitig, also bereits im Juli 2013, gestellt habe.
Hinweis:
Der Herstellungsanspruch ist auf dem Gebiet des Sozialrechts ein Korrektiv für Folgen von Verwaltungsfehlern. Er ist gerichtet auf die Verpflichtung des Leistungsträgers, die bei den Betroffenen kausal eingetretenen negativen Folgen dadurch auszugleichen, dass er hinsichtlich seiner Leistungsansprüche so gestellt wird, als wäre sein Handeln nicht durch Verwaltungsfehler beeinflusst worden. Ein Herstellungsanspruch setzt voraus:
- ein objektiv rechtswidriges, nicht notwendig schuldhaftes Verhalten eines Sozialleistungsträgers,
- eine darauf (wesentlich) beruhende, nachteilige Disposition der Berechtigten,
- das Verhalten des Leistungsträgers und die Disposition der Betroffenen führen bei diesen zu einem Schaden,
- es muss die rechtliche Möglichkeit bestehen, die Nachteilssituation durch verwaltungsinternes Handeln, also durch eine rechtlich zulässige Amtshandlung – zu dieser ausführlich, mit zahlreichen Rechtsprechungsbeispielen, Spellbrink in: KassKomm, Stand Juli 2020, vor §§ 13–15 SGB I, Rn 31 ff. – auszugleichen.
Die Klage auf Pflegegeld auch für den Zeitraum von Juli 2013 bis Oktober 2014 hatte im Berufungsverfahren Erfolg. Die vom LSG zugelassene und von der Beklagten eingelegte Revision hat das BSG zurückgewiesen (Urt. v. 17.6.2021 – B 3 P 5/19 R, hierzu Spellbrink, jurisPR-SozR 25/2021 Anm. 4).
Das BSG teilt die Auffassung des LSG, dass das den Kläger behandelnde Krankenhaus seine Benachrichtigungspflicht nach § 7 Abs. 2 S. 2 SGB XI verletzt hat. Nach dieser Vorschrift haben mit Einwilligung des Versicherten der behandelnde Arzt, das Krankenhaus, die Rehabilitations- und Vorsorgeeinrichtungen sowie die Sozialleistungsträger unverzüglich die zuständige Pflegekasse zu benachrichtigen, wenn sich der Eintritt von Pflegebedürftigkeit abzeichnet oder wenn Pflegebedürftigkeit festgestellt wird. Die Aufklärungs- und Beratungspflicht setzt kein entsprechendes Beratungsbegehren des Versicherten voraus, sondern entsteht als Pflicht zur Spontanberatung u.a. dann, wenn sich der Eintritt von Pflegebedürftigkeit abzeichnet. Die Beratungsleistungen eines Krankenhauses haben sich im Zusammenhang mit dessen Informations- und Beratungspflichten i.R.d. Versorgungs- und Entlassungsmanagements – zur Unterstützung einer sektorenübergreifenden Versorgung der Versicherten beim Übergang in die Versorgung nach Krankenhausbehandlung (s. nunmehr § 39 Abs. 1a SGB V) – auf alle Folgen zu erstrecken, die – hier bezogen auf einen etwaigen Pflegebedarf – nach Entlassung des Versicherten bei Behandlungsabschluss als möglich erscheinen können. Das Gericht spricht ferner (auch unter Hinweis auf den in § 2 Abs. 2 Hs. 2 SGB I angesprochenen Grundsatz der möglichst weitgehenden Verwirklichung der individuellen Sozialleistungsansprüche – was auch die Vorschrift des § 7 Abs. 2 S. 2 SGB XI bezwecke – und auf die anderen sozialrechtlichen Beratungs- und Auskunftspflichten, insb. §§ 14, 15, 17 Abs. 1 SGB I) der Pflicht des Krankenhauses zur Benachrichtigung der Pflegekasse und die mit ihr vorausgesetzte Aufklärungs- und Beratungspflicht drittschützende Wirkung zugunsten der Versicherten zu, um deren Zugang zu gesetzlichen Leistungsansprüchen gegen die Pflegekasse es geht. Verstöße gegen die hiernach vom Krankenhaus zu erfüllenden Pflichten muss, so das BSG, sich auch eine Pflegekasse nach dem Regelungszweck und -systematik der Vorschriften zum Versorgungs- und Entlassungsmanagement wie eigene Beratungsfehler zurechnen lassen, soweit die Inanspruchnahme von Leistungen der Pflegeversicherung betroffen ist.
Das Gericht stellt zur Begründung we...