1. Amtshaftungsanspruch
Im Rahmen von Amtshaftungsansprüchen nach § 839 BGB, Art. 34 GG, die sich gegen Sozialleistungsträger richten, stellt auch die Rechtsprechung des BGH im Hinblick auf die insoweit bestehenden sozialrechtlichen Normen (§§ 2 Abs. 2 Hs. 2, 14, 15 und 17 Abs. 1 SGB I) seit Langem hohe Anforderungen an Beratungs- und Betreuungspflichten. Im Hinblick darauf, dass eine umfassende Beratung der Versicherten die Grundlage für das Funktionieren des immer komplizierter werdenden Sozialleistungssystems ist, stehen im Vordergrund dabei nicht nur die Beantwortung von Fragen oder Bitten um Beratung, sondern die verständnisvolle Förderung der Versicherten, d.h. die aufmerksame Prüfung, ob Anlass besteht, auch von Amts wegen auf Gestaltungsmöglichkeiten oder Nachteile hinzuweisen, die sich mit ihren Anliegen verbinden; denn schon gezielte Fragen setzen Sachkunde voraus, über die Versicherte oft nicht verfügen (s. bereits BGH, Urt. v. 2.8.2018 – III ZR 466/16, NJW 2019, 68 Rn 15 m.w.N. – nahezu wörtlich übereinstimmend mit BSG, Urt. v. 12.12.2007 – B 12 AL 1/06 R Rn 16, hierzu Sartorius ZAP F. 18, S. 1640 ff.). Diese Rechtsprechung hat der BGH durch Urt. v. 11.3.2021 – III ZR 27/20 fortgeführt (zu dieser Entscheidung s. Voelzke JM 2021, 453). Das Gericht sah den beklagten Rentenversicherungsträger vorliegend sogar für verpflichtet an, einen Versicherten nach Erteilung einer Rentenauskunft (mit Angabe der voraussichtlichen Rentenhöhe zum späteren Rentenbeginn) darauf hinzuweisen, dass sich die Erzielung weiteren Entgelts im Hinblick auf die Vorschrift über die Mindestentgeltpunkte bei geringem Arbeitsentgelt (§ 262 SGB VI) als rentenmindernd erweisen könne. Damit kann sich eine Beratungspflicht der Sozialleistungsträger auch zur Optimierung von Sozialleistungsansprüchen Einzelner ergeben.
Weitere Einzelheiten zum Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB, Art. 34 GG, auch im Zusammenhang mit dem bzw. im Verhältnis zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch siehe unter V.
2. Kostenentscheidung nach § 193 SGG
Nach § 193 Abs. 1 S. 1 SGG hat das Gericht im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Diese Entscheidung ergeht nach Ermessen, ohne Rücksicht auf die Anträge der Beteiligten, wobei alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, vorrangig der Ausgang des Verfahrens (s. Schmidt in: M-L/K/L/S SGG § 193 Rn 12–12 c m.w.N.).
Nach Erledigung des Rechtsstreits, etwa durch Vergleich, Klagerücknahme oder übereinstimmende Erledigungserklärung, trifft das Gericht nach § 193 Abs. 1 S. 3 SGG eine Entscheidung über die Kosten auf Antrag durch Beschluss, gegen den keine Beschwerde möglich ist (§ 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG). Das Gericht entscheidet insoweit unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen (Schmidt in: M-L/K/L/S, SGG § 193 Rn 13, 13d m.w.N.). Im Rahmen der Entscheidung ist auf den Inhalt der Akten, den unstreitigen Vortrag der Beteiligten und den Inhalt von Urkunden abzustellen. Eine Beweiserhebung kommt nicht in Betracht.
Das SG Freiburg hat durch Beschl. v. 23.12.2021 – S 4 R 1803/20 dem beklagten Rentenversicherungsträger die Kosten des Verfahrens auferlegt. Dem lag als Sachverhalt zugrunde, dass die Klägerin zunächst bei der Beklagten, schließlich auch gerichtlich, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 10 Abs. 1 SGB VI geltend machte. Die hierfür erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen lagen jedoch nicht vor. Später erhielt die Klägerin nach entsprechender Antragstellung bei ihrer Krankenkasse Vorsorgeleistungen gem. §§ 23 Abs. 1, 24 Abs. 1 SGB V in Form einer Mutter-Kind-Maßnahme in einer Einrichtung für die Dauer von drei Wochen. Sie erklärte sodann den Rechtsstreit für erledigt und beantragte eine Kostenentscheidung zulasten der Beklagten. Das SG ließ offen, ob die Beklagte für die Leistungserbringung nach §§ 14, 15 SGB IX zuständig geworden ist und stellt in seinem, dem Begehren der Klägerin stattgebenden Beschluss, entscheidend darauf ab, der Rentenversicherungsträger habe die ihm obliegenden Beratungs- und Betreuungspflichten (es verweist auf § 2 Abs. 2 Hs. 2, §§ 14, 15, und 17 Abs. 1 SGB I) verletzt, da ihm der angegriffene Gesundheitszustand der Klägerin, v.a. hervorgerufen durch die Versorgung (Ganztagspflege) von drei geistig behinderten Pflegekindern und den damit einhergehenden körperlichen und psychischen Belastungen, bekannt war und es "nahegelegen" hätte, die Klägerin auf die Möglichkeit einer Mutter-Kind-Maßnahme hinzuweisen. Der Entscheidung ist zuzustimmen.