In einer ersten Bewertung dieses Reformvorhabens ist zu konstatieren, dass es sich bei den Commercial Chambers bzw. Courts (auf LG- bzw. OLG-Ebene) um eine notwendige Ergänzung zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (s. zur Modernisierung des deutschen Schiedsverfahrensrechts jüngst das Eckpunktepapier des BMJ v. 18.4.2023, https://www.bmj.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/0418_Modernisierung_Schiedsverfahrensrecht.html) handelt, und nicht etwa um eine echte Konkurrenz zu dieser: Es sollte dabei vielmehr um die Gewährung einer für die beteiligten Wirtschaftskreise überhaupt attraktiven staatlichen Alternative und der damit verbundenen „Orientierungshilfe” gehen – und damit die Möglichkeit, die „Konsistenz und Vorhersehbarkeit aller Entscheidungen” in den betreffenden Rechtsgebieten zu erhöhen; dies ist aber nur bei einem signifikanten Fallaufkommen realistisch leistbar (s.a. P. Mellin in seiner Stellungnahme in der o.g. Sachverständigen-Anhörung des Rechtsausschusses; s.a. die Stellungnahmen von H. Hummelmeier und F. Oelschläger; https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw09-pa-recht-commercial-courts-934778 ).
Aus diesem Grund ist auch die im RefE vorgesehene Kooperationsmöglichkeit der Länder für gemeinsame „Commercial Courts” (§ 119b Abs. 5 GVG-RefE, dazu die Begr., S. 21) grds. zu begrüßen, wenn diese dazu beiträgt, die Spezialisierung von (gemeinsamen) Spruchkörpern auf bestimmte Rechtsmaterien des Wirtschaftsrechts zu fördern – und damit auch die damit gewährleistete Qualifizierung und Qualität der richterlichen Entscheider und Entscheidungen in diesen Verfahren. Anzunehmen ist, dass an zentralen Justizstandorten, v.a. in deutschen Großstädten, sicherlich ausreichend Richterpersonal mit fließenden Englischkenntnissen in Wort und Schrift vorhanden sein dürfte (auch wenn allein dem Vorhandensein einer akademischen Qualifikation namens LL.M. angesichts der vorangeschrittenen Diversität dieses Abschlusses in Deutschland, Europa und USA nicht unbedingt mehr eine Aussagekraft zuzubilligen ist). Jedenfalls berührt dies die aktuell immer herausforderndere Suche nach geeignetem Justizpersonal, die angesichts eines Wandels zu einem „Arbeitnehmermarkt” in Deutschland längst zu einem „Bieterwettbewerb” der Dienstherren in Bund, Ländern und Kommunen um Personal für Justiz und alle Sparten von Verwaltungen geführt hat (zum Teil auch mit fragwürdigen Nivellierungen der notenbasierten Einstellungsvoraussetzungen für das Richteramt).
Damit rückt einmal mehr die offene Frage der Justizpersonalrekrutierung im 21. Jahrhundert in den Vordergrund, und zwar über die Gewinnung von geeigneten Proberichtern und -richterinnen hinaus: Es werden in der nahen Zukunft nicht nur hinreichend gut (d.h. hochschulmäßig) ausgebildete Gerichtsvollzieher (s. N. Fischer, DGVZ 2022, 145 ff., 145 f. m.w.N.), sondern auch Justizpersonal in den Geschäftszimmern und Serviceeinheiten der Gerichte (vgl. § 153 GVG) gesucht, das im Hinblick auf die intendierte Wortlautprotokollierung in englischer Sprache, nicht nur hinreichend qualifiziert, sondern auch bereit ist, in gehaltsmäßig überschaubaren Lohn- und Besoldungsgruppen immer anspruchsvoller werdende Tätigkeiten zu absolvieren.
Schließlich ist für das Reformvorhaben – gerade mit seiner Betonung auch eines verbesserten Schutzes von Geschäftsgeheimnissen (in § 273a ZPO-RefE) – auch die grundsätzliche Frage nach der heutigen Bedeutung des Grundsatzes der Gerichtsöffentlichkeit gem. § 169 GVG sowie der Gerichtssprache gem. § 184 GVG und den jeweiligen verfassungsrechtlichen Fundierungen zu stellen, will man mit dem Gesetzesvorhaben tatsächlich den Zugang zu einer modernen rechtsstaatlichen Justiz verbreitern und nicht verengen.
ZAP F. 13, S. 435–438
Von Prof. Dr. Nikolaj Fischer und LfBA Dr. Michelle Michel, Universität Kassel