1. Wegeunfall – Unterbrechung des Versicherungsschutzes/Ende der Unterbrechung
Ein Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung ist auch der sog. Wegeunfall (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII). Versichert ist hier das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Zum entsprechenden Versicherungsschutz im Homeoffice s. BSG v. 8.12.2021 – B 2 U 4721 R (hierzu Sartorius/Winkler, ZAP F. 18, 1903 ff.); der Gesetzgeber hat insoweit ab dem 18.6.2021 in § 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII eine ergänzende gesetzl. Regelung geschaffenen. Für den inneren Zusammenhang zwischen zurückgelegten Weg und der versicherten Tätigkeit ist auf die erkennbare subjektive Handlungstendenz der Versicherten abzustellen. Wird der versicherte Weg durch private Motive unterbrochen, so endet der Versicherungsschutz für die Dauer der Unterbrechung.
Hinweis:
Nur geringfügige Unterbrechungen lassen den Versicherungsschutz unberührt. Solche liegen nur vor, wenn die Unterbrechung auf einer Verrichtung beruht, die bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit anzusehen ist. Das ist der Fall, wenn sie nicht zu einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung auf das ursprünglich geplante Ziel führt, weil sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung „im Vorbeigehen” oder „ganz nebenher” erledigt werden kann (s. etwa BSG v. 23.1.2018 – B 2 U 3/16, juris Rn 16; BSG v. 28.6.2022 – B 2 U 16/20 R).
Liegt eine nicht nur geringfügige Unterbrechung vor, so dauert diese bis zu dem Zeitpunkt an, zu dem die Versicherten nach außen erkennbar zeigen, dass sie sich wieder in Richtung ihrer ursprünglichen Ziele bewegen wollen (s. etwa, von einem Ende der Unterbrechung ausgehend: BSG v. 4.7.2013 – B 2 U 12/12 R, Rn 17 und BSG v. 31.8.2017 – B 2 U 1/16 R, NJW 2018,1203; s. andererseits, Fortdauer der Unterbrechung: BSG v. 31.8.2017 – B 2 U 11/16 R, NJW 2018, 1200).
Dem vom BSG am 28.6.2022 – B 2 U 16/20 R entschiedenen Rechtsstreit lag als Sachverhalt zugrunde: Der Versicherte benutzte für den Weg vom Arbeitsplatz zu seiner Wohnung regelmäßig die Straßenbahn. Am Unfalltag wollte er zwischendurch bei seiner Hausärztin ein Rezept abholen. An einer Zwischenhaltestelle stieg er aus und lief – in Wohnungsrichtung – zur Arztpraxis, die er nach einigen Minuten wieder verließ. Auf dem anschließenden Fußweg – weiterhin in Wohnungsrichtung – zur nächsten Zwischenhaltestelle – wurde er beim Überqueren der Straße angefahren und verletzt. Die Beklagte lehnte es ab, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die von der Beklagten gegen das dem Anliegen des Klägers entsprechende Berufungsurteil eingelegte Revision wies das BSG als unbegründet zurück.
Das Gericht sieht die zunächst durch die Abholung des Rezepts in der Arztpraxis eingetretene Unterbrechung zum Unfallzeitpunkt als wieder beendet an. Der Verletzte befand sich auf dem Weg nach Hause, was objektiv dadurch erkennbar war, dass er seinen Weg in dieselbe Richtung zurücklegte, wie das öffentliche Verkehrsmittel. Das Gericht führt u.a. aus, anders als Fahrer im Individualverkehr (Kfz, Fahrräder) müssten Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel das jeweilige Fahrzeug (wie Bus, Straßenbahn) weder erreicht noch bestiegen haben, um den Versicherungsschutz wiederzuerlangen. Stattdessen genüge es, wenn sie, etwa als Fußgänger, den Verkehrsraum erreichen, den auch das öffentliche Verkehrsmittel benutzt, also dieselbe Strecke in dieselbe Richtung wie das öffentliche Verkehrsmittel zurücklegen. Möchten Versicherte nach einer privaten Erledigung im weiteren Streckenverlauf an einer späteren Haltestelle wieder zusteigen, so beenden sie die unversicherte Unterbrechung bereits dann, wenn sie in Zielrichtung den Fußweg einschlagen, der parallel in unmittelbarer Nähe der Strecke/Trasse verläuft, die das öffentliche Verkehrsmittel nutzt.
2. Klassifizierung von Gesundheitsstörungen nach aktuellen, etablierten Diagnosesystemen
Der Kläger beantragte von der beklagten Berufsgenossenschaft die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Folge eines Arbeitsunfalls und behauptete, bei ihm bestehe eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Das LSG stützte in seiner Entscheidung v. 29.8.2019 die Feststellung, in der Person des Klägers habe zu keiner Zeit eine PTBS vorgelegen, auf die 4. Auflage des Diagnosesystems DSM (Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der amerikanischen psychiatrischen Vereinigung), obwohl die 5. Auflage bereits 2013 in den USA veröffentlicht wurde und seit 2014 in der deutschen Fassung vorliegt. Die Revision des Klägers führte zur Aufhebung und Zurückverweisung durch das BSG (s. BSG v. 28.6.2022 – B 2 U 9/20 R).
Das Gericht sieht sich nicht in der Lage, abschließend zu beurteilen, ob das LSG eine rentenbegründende MdE von mind. 20 v.H. (s. insoweit grds. § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII; bei mehreren Versicherungsfällen, die die Erwerbsfähigkeit um mind. 10 v.H. mindern, ist es ausreichend, dass die MdE von mind. 20 durch eine Addition der Vomhundertsätze erreicht wird, s. S. 2 u. 3 der Norm) infolg...