Trotz Nichteinhaltung der Ladungsfrist bleibt der Angeklagte zunächst verpflichtet, in der Hauptverhandlung zu erscheinen. Dort ist er vom Gericht darüber zu belehren, dass er die Nichteinhaltung der Ladungsfrist beanstanden und Aussetzung der Hauptverhandlung beantragen kann (§ 228 Abs. 3 StPO), was er jedoch auch bereits vor der Hauptverhandlung schriftlich (z.B. mittels Telefax) tun kann. Rechtzeitig ist der Antrag, wenn er vor Beginn der Hauptverhandlung bei Gericht eingegangen ist, selbst wenn er dem zuständigen Richter noch nicht vorliegt (für das Bußgeldverfahren KG, Beschl. v. 26.11.2021 – 3 Ws (B) 312/21, DAR 2022, 217; KG, Beschl. v. 28.9.2022 – 3 Ws (B) 226/22, zfs 2022, 708; OLG Koblenz, Beschl. v. 27.4.2021 – 3 OWi 6 SsBs 59/21; OLG Naumburg, Beschl. v. 17.3.2015 – 2 Ws 55/15 VA 2015, 195; OLG Naumburg, Beschl. v. 9.6.2020 – 1 Ws 23/20, zfs 2021, 112; a.A. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 10.7.1996 – 1 Ss 161/96, für einen 30 Minuten vor Beginn der Hauptverhandlung eingegangenen Antrag). In dem Zusammenhang kann die kontroverse obergerichtliche Rechtsprechung um den rechtzeitigen Eingang des sog. Entbindungsantrags im Bußgeldverfahren (§ 73 Abs. 2 OWiG) Bedeutung erlangen; ggf. muss sich der Verteidiger auf diese berufen (s. einerseits OLG Hamm, Beschl. v. 22.6.2011 – III-5 RBs 53/11, DAR 2011, 539, 11/2 Stunden nicht ausreichend; andererseits OLG Bamberg, Beschl. v. 25.3.2008 – 3 Ss OWi 1326/08, 30 Minuten vor Hauptverhandlungsbeginn reichen aus; NZV 2011, 409; s. auch noch KG, VRR 2012, 195, zwei Stunden ausreichend; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.5.2022 – IV 2 RBs 78/22, StRR 7/2022, 31, Eingang 35 Minuten vor Beginn der Hauptverhandlung per beA im zentralen EGVP-Postfach reicht nicht; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 20.10.2020 – 1 Ss-OWi 1097/20, NJW 2021, 1109 = m. abl. Anm. Burhoff, StRR 6/2021, 33, Eingang über das beA um 16:58 Uhr im EGVP am Vorabend der am Folgetag um 8:40 Uhr beginnenden Hauptverhandlung reicht nicht). Erst der rechtzeitig vor der Hauptverhandlung gestellte Aussetzungsantrag entbindet den Angeklagten von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung (BGH, Beschl. v. 18.5.1971 – 3 StR 10/71, BGHSt 24, 143 = NJW 1971, 1278; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.3.1999 –1 Ws 210/99, 5 Ss 13/99 – 23/99 I, VRS 97, 139; s. aber OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2019 – 1 Rv 21 Ss 716/19, zfs 2020, 46).
Das Beanstandungs- und Antragsrecht steht dem Angeklagten auch zu, wenn gegenüber seinem Verteidiger die Ladungsfrist nicht eingehalten wurde und dieser deshalb nicht vor Gericht erscheint. Der erschienene Verteidiger wiederum kann für seinen Mandanten die Nichteinhaltung der diesen betreffenden Ladungsfrist beanstanden; ein originäres Beanstandungs- und Aussetzungsantragsrecht hat der Verteidiger nur, wenn die Frist ihm gegenüber nicht eingehalten wurde.
Formulierungsvorschlag:
„(...) beanstande ich die Nichteinhaltung der Ladungsfrist verbunden mit dem Antrag, die Hauptverhandlung auszusetzen (§ 217 StPO). Die Ladung zur Hauptverhandlung wurde dem (...) (meinem Mandanten) ausweislich des Zustellvermerks auf dem Briefumschlag am (...) zugestellt. Damit liegen zwischen dem Tag der Zustellung und dem der anberaumten Hauptverhandlung lediglich fünf Tage. Dieser Zeitraum reicht zur Vorbereitung der Hauptverhandlung nicht aus, zumal ich an zwei dieser fünf Tage infolge der Verteidigung in einem anderen Verfahren ortsabwesend bin.”