Die Durchführung von Ausgleichung und Anrechnung ist in der Praxis der Erbauseinandersetzung aus der Erfahrung des erbrechtlichen Praktikers regelmäßig als streitlastig einzustufen. Dies gilt erst recht, wenn die Ausgleichungs- und Anrechnungsbestimmungen über die §§ 2315 und 2316 BGB im Pflichtteilsrechtsverhältnis zu berücksichtigen sind. Die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen sollen sich hier in Zukunft ändern. Schaut man sich die geplanten Gesetzesänderungen im Detail an, stellt sich das Änderungsvorhaben als ein erbrechtlicher Axiomwechsel dar, der die Testierfreiheit des Erblassers erweitern, aber auch einige dogmatisch schwierige Fragen aufwerfen wird.

Gemäß dem Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz (BMJ)[2] soll der Gesetzeswortlaut der für die Ausgleichung und Anrechnung relevanten Vorschriften an einer ganz entscheidenden Stelle geändert werden:

§ 2050 Absatz 1 BGB

Abkömmlinge, die als gesetzliche Erben zur Erbfolge gelangen, sind verpflichtet, dasjenige, was sie von dem Erblasser bei dessen Lebzeiten als Ausstattung erhalten haben, bei der Auseinandersetzung untereinander zur Ausgleichung zu bringen, soweit nicht der Erblasser bei der Zuwendung oder nachträglich durch Verfügung von Todes wegen ein anderes angeordnet hat“.

§ 2050 Absatz 3 BGB

Andere Zuwendungen unter Lebenden sind zur Ausgleichung zu bringen, wenn der Erblasser bei der Zuwendung oder nachträglich durch Verfügung von Todes wegen ein anderes bestimmt hat.“

Die gleiche Erweiterung soll in § 2053 Absatz 1 erfolgen.

§ 2315 Absatz 1 BGB

Der Pflichtteilsberechtigte hat sich auf seinen Erbteil anrechnen zu lassen, was ihm von dem Erblasser durch Rechtsgeschäft unter Lebenden mit der Bestimmung zugewendet worden ist, dass es auf den Pflichtteil angerechnet werden soll. Gleiches gilt, wenn der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen die Anrechnung nachträglich bestimmt hat.“

Der erbrechtliche Berater kennt die Situation: Im Beratungsgespräch – im Rahmen einer Planung einer letztwilligen Verfügung der Eheleute – kommt einer der beiden auf den Gedanken, dem (derzeit) in Ungnade gefallenen Abkömmling im Unterschied zu seinen Geschwistern (gewissermaßen "zur Strafe") seine Vorerwerbe letztwillig vorzuhalten, indem man anordnen will, er solle sich diese auf seinen Erbteil oder (noch radikaler) auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen. Die Standardfrage des Beraters lautete in diesen Fällen stets: Haben Sie ihm denn jeweils im Moment der Zuwendung gesagt, dass er sich diese später einmal anrechnen lassen muss? Die Antwort lautete regelmäßig: nein. Wieso auch, der Gedanke der Anrechnung kam mir (uns) doch erst, als er gegen unseren Willen (hier kommt dann die Schilderung des Ereignisses, weshalb der Sprössling in Misskredit gefallen ist). Genau diese nachträgliche Anordnung war bisher nicht möglich, wird jedoch dann, wenn der Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums umgesetzt wird, künftig möglich sein. Die Änderungsvorschläge finden breite Zustimmung im Schrifttum[3] und können auch als Regelung des Gesetzgebers gelten, bei dem der Beifall weiter Kreise der (mehr und mehr alternden) Bevölkerung garantiert ist.

Hierbei wird bisher übersehen, dass hier nicht irgendeine Änderung vollzogen werden soll, die volkstümlichen Charakter hat und die deshalb begrüßenswert erscheint, sondern hiermit ein Systemwechsel an der Schnittstelle zwischen lebzeitigen Generationenverträgen und letztwilliger Verfügung vollzogen wird. Die Vorschriften der §§ 2050 ff sowie des § 2315 BGB sind Gründungsbestand des BGB, sind bisher also nie geändert worden. Bisher galt der Grundsatz, dass die Anrechnungsbestimmung bei einem lebzeitigen Zuwendungsgeschäft mit ausgehandelt werden musste, um wirksam werden zu können. Ihr wurde so gewissermaßen Gegenleistungscharakter zugemessen. Nach dem geplanten neuen Recht muss hierüber bei der Zuwendung gerade nicht mehr gesprochen werden. Selbst der Zuwender, der den Vorbehalt einer späteren Anrechnungsbestimmung bereits bei der Zuwendung im Kopfe hat aber darüber bewusst schweigt, später aber doch anordnet, handelt künftig rechtlich wirksam, weil in Ausübung seiner durch die geplante Gesetzesänderung erweiterten Testierfreiheit.

Es drängen sich drei Fragen auf:

1. Die erste lautet: Wie kann der Erblasser zukünftig lebzeitig einen Verzicht auf seine Freiheit zu einer nachträglichen letztwilligen Anrechnungsbestimmung rechtswirksam zugunsten des im Rahmen der vorweggenommen Erbfolge vertraglich Begünstigten vereinbaren?

2. Die zweite Frage ist von ebenso zentraler Bedeutung, sie lautet: Wie sollen die zukünftigen gesetzlichen Systemänderungen auf erbrechtliche Altfälle wirken?

3. Die dritte Frage weist auf das Pflichtteilsrecht. Wenn denn zukünftig schon nachträglich durch den Erblasser eine Anrechnungs- bzw. Ausgleichungsbestimmung einseitig getroffen werden kann, so fragt sich: Was kann denn alles eine Zuwendung im Sinne der §§ 2315 und 2316 BGB sein? Der zukünftige Zuwendungsbegriff muss vor dem Hintergrund der Erweiterung ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?