Birk wies zu Beginn der Podiumsdiskussion auf die "Erdbebenwirkung" des Europarechts hin, die durch die Rechtsprechung des EuGH entstünde.
Nach Kokott befinde sich der EuGH auf dem richtigen Weg. Die vielfach aus Deutschland an der Rechtsprechung geäußerte Kritik sei wichtig und lobenswert. Der EuGH habe in vielen Fällen bereits neue Ansatzpunkte gefunden, beispielsweise bei der Aufteilung der Steuerjurisdiktion zwischen den Mitgliedsstaaten. Der Dialog mit Wissenschaft und nationalen Gerichten sei wichtig und werde auf hohem Niveau geführt.
Kokott konstatierte, bei Verstößen des Gesetzgebers gegen höherrangiges Recht bestehe kein Grund zur Aufrechterhaltung der Rechtslage. Grundsätzlich seien EuGH-Urteile daher rückwirkend, wobei es auch Ausnahmen gebe. Die von Hey vorgeschlagene Vorabkonsultation der EU-Kommission sei mit Blick auf Prinzipien wie Gewaltenteilung und Souveränität problematisch. Kokott hielt es für widersinnig, das Inanspruchnehmen steuerlich günstiger Rahmenbedingungen durch grenzüberschreitende Investitionen von Kapital als missbräuchlich zu deklarieren. Der EuGH müsse den Begriff des Missbrauchs selbst anhand der Grundfreiheiten definieren. Er sei dabei im Steuerrecht großzügiger als in anderen Bereichen. Die Konturen des Missbrauchsbegriffs seien künftig jedoch noch klarer herauszuarbeiten.
Spindler führte aus, nach dem Grundgesetz könne eine Norm für verfassungskonform oder verfassungswidrig befunden werden. Mit Rücksicht auf das Gemeinwesen habe sich die heutige "Verschonungstenorierung" herausgebildet. Es empfehle sich eine Einzelfallbetrachtung jedes Gesetzes. Hafteten diesem bereits im Gesetzgebungsverfahren massive Zweifel und Kritik an, sei dessen Geltungsanspruch geringer und eine anfängliche Nichtigkeit möglich. Die Akzeptanz des Gesetzes bzw. die Erteilung von Gesetzgebungsaufträgen seien die bisher eindeutig häufigeren Entscheidungsformen, da es bisher lediglich zwei Nichtigkeitserklärungen im Steuerrecht gegeben habe.
Auch Spindler konstatierte, dass der Dialog mit dem EuGH gut funktioniere. Er gab zu bedenken, dass über dem Unternehmer, der aufgrund geltender Rechtslage handele, nicht das "Damoklesschwert" der steuerlichen Änderung des Gesetzgebers schweben dürfe.
Birk merkte an, dass es eine Vielzahl von speziellen Missbrauchsvorschriften gebe und der Einfachheit halber eine allgemeine Regelung ausreichend sein könnte.
Nach Pöllath stehen viele Missbrauchsvorschriften mit Missbrauch in keinem wirklichen Zusammenhang. Ihm bekannte Unternehmen tangierten den Bereich des Missbrauchs nicht, sodass er die häufig anzutreffende Auffassung der Missbrauchsträchtigkeit unternehmerischer Gestaltungen nicht bestätigen könne. Der Gesetzgeber solle ökonomische Grundmuster des Erklärens von Verhaltensweisen in die Betrachtung steuerlicher Sachverhalte aufnehmen. Es sei falsch, die Diskussion zur Attraktivität der eigenen Leistung über den Preis des Produkts zu führen. Auch unstete Preispolitik sei falsch und schwer zu managen. Stetigkeit in der Gesetzgebung sei auch ein Appell an Ehrbarkeit. Sofortige Gegenmaßnahmen des Staates seien daher selbstschädigend. Ferner gab Pöllath zu bedenken, dass die vielfach raffinierten steuerrechtlichen Vorschriften auch verwaltbar sein müssten.
Nawrath merkte an, dass er die Probleme beim Gewährleisten der Vorhersehbarkeit von Gesetzgebung kenne. Diese sei insbesondere für Unternehmen ein wichtiger Faktor. Es gebe allerdings Regelungen, die im Nachhinein als nicht mehr tauglich erkannt und durch den Gesetzgeber geändert würden. Wenn man Politik verstehen wolle, dürfe man keine "Spiegelfechtereien" führen. In Wirklichkeit gehe es um Verteilungsgerechtigkeit. Heys Forderung, der Gesetzgeber möge mehr Mut bei der Ausgestaltung von Normen haben, die sich auf grenzüberschreitende Sachverhalte beziehen, sei aufgrund einer Vielzahl gescheiterter Versuche zweifelhaft. Der Gesetzgeber versuche häufig mit untauglichen Mitteln seine Not zu lindern. Problematisch sei, dass er teilweise mit anderen Wertmaßstäben arbeite als die Rechtsprechung.
Nawrath wies darauf hin, dass sich auch der EuGH Entwicklungen nicht verschlösse und ein konstruktiver Dialog bestehe.
Hey konstatierte, dass ein Verstoß gegen zentrale Konkretisierungen des Leistungsfähigkeitsprinzips gleichbedeutend mit einem Verstoß gegen die ökonomische Vernunft sei. Sie warf dabei die Frage auf, wie die Besteuerung eines Unternehmens ohne Gewinne langfristig funktionieren solle. Nach der ACT-Entscheidung des EuGH können bestimmte Missbrauchsgestaltungen auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränkt bekämpft werden. Auch würden häufig unter dem Deckmantel des Europarechts andere Ziele verfolgt. Eine Zusammenarbeit des Gesetzgebers mit der EU-Kommission sei eher zu begrüßen als proaktive europarechtskonforme Gesetzgebung.