Tagungsbericht zum 28. Berliner Steuergespräch
Einführung
Das 28. Berliner Steuergespräch unter der Moderation von Herrn Prof. Dr. Dieter Birk hatte das Thema "Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und Sicherung des Steueraufkommens". Neben Herrn Dr. Axel Nawrath und Frau Prof. Dr. Johanna Hey erörterten Frau Prof. Dr. Juliane Kokott, Herr Dr. Wolfgang Spindler sowie Herr Prof. Dr. Reinhard Pöllath die Tendenzen der Steuergesetzgebung und zu erwartende Auswirkungen für die Steuerpflichtigen.
A. Vorträge von Nawrath und Hey
Nawrath stellte in seinem einführenden Referat zunächst klar, dass Steuermissbrauch und Steuergestaltung nicht synonym verstanden werden können und sich somit der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nicht auf bloße Missbrauchsgesetzgebung beschränke. Steuerrechtsprinzipien würden die Grenze für die ganzheitlich gestaltende Finanzpolitik des Steuergesetzgebers bilden. Nawrath merkte an, dass jeder Unternehmer mit steuerlicher Gestaltung ein individuelles Risiko eingehe.
Hey konstatierte in ihrem Referat, dass der Steuergesetzgeber vermehrt versuche, die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen auszuloten und dafür das objektive Nettoprinzip an vielen Stellen ungerechtfertigt einschränke. Der Gesetzgeber solle stattdessen sachgerechte Differenzierungsgründe zum Maßstab nehmen. Mit Blick auf das Europarecht solle der Gestaltungsspielraum couragierter ausgeschöpft werden. Um die Europarechtswidrigkeit von Steuergesetzen zu vermeiden, könnte die EU-Kommission vorab bei der Ausgestaltung von nationalen Gesetzen konsultiert werden.
B. Podiumsdiskussion
Birk wies zu Beginn der Podiumsdiskussion auf die "Erdbebenwirkung" des Europarechts hin, die durch die Rechtsprechung des EuGH entstünde.
Nach Kokott befinde sich der EuGH auf dem richtigen Weg. Die vielfach aus Deutschland an der Rechtsprechung geäußerte Kritik sei wichtig und lobenswert. Der EuGH habe in vielen Fällen bereits neue Ansatzpunkte gefunden, beispielsweise bei der Aufteilung der Steuerjurisdiktion zwischen den Mitgliedsstaaten. Der Dialog mit Wissenschaft und nationalen Gerichten sei wichtig und werde auf hohem Niveau geführt.
Kokott konstatierte, bei Verstößen des Gesetzgebers gegen höherrangiges Recht bestehe kein Grund zur Aufrechterhaltung der Rechtslage. Grundsätzlich seien EuGH-Urteile daher rückwirkend, wobei es auch Ausnahmen gebe. Die von Hey vorgeschlagene Vorabkonsultation der EU-Kommission sei mit Blick auf Prinzipien wie Gewaltenteilung und Souveränität problematisch. Kokott hielt es für widersinnig, das Inanspruchnehmen steuerlich günstiger Rahmenbedingungen durch grenzüberschreitende Investitionen von Kapital als missbräuchlich zu deklarieren. Der EuGH müsse den Begriff des Missbrauchs selbst anhand der Grundfreiheiten definieren. Er sei dabei im Steuerrecht großzügiger als in anderen Bereichen. Die Konturen des Missbrauchsbegriffs seien künftig jedoch noch klarer herauszuarbeiten.
Spindler führte aus, nach dem Grundgesetz könne eine Norm für verfassungskonform oder verfassungswidrig befunden werden. Mit Rücksicht auf das Gemeinwesen habe sich die heutige "Verschonungstenorierung" herausgebildet. Es empfehle sich eine Einzelfallbetrachtung jedes Gesetzes. Hafteten diesem bereits im Gesetzgebungsverfahren massive Zweifel und Kritik an, sei dessen Geltungsanspruch geringer und eine anfängliche Nichtigkeit möglich. Die Akzeptanz des Gesetzes bzw. die Erteilung von Gesetzgebungsaufträgen seien die bisher eindeutig häufigeren Entscheidungsformen, da es bisher lediglich zwei Nichtigkeitserklärungen im Steuerrecht gegeben habe.
Auch Spindler konstatierte, dass der Dialog mit dem EuGH gut funktioniere. Er gab zu bedenken, dass über dem Unternehmer, der aufgrund geltender Rechtslage handele, nicht das "Damoklesschwert" der steuerlichen Änderung des Gesetzgebers schweben dürfe.
Birk merkte an, dass es eine Vielzahl von speziellen Missbrauchsvorschriften gebe und der Einfachheit halber eine allgemeine Regelung ausreichend sein könnte.
Nach Pöllath stehen viele Missbrauchsvorschriften mit Missbrauch in keinem wirklichen Zusammenhang. Ihm bekannte Unternehmen tangierten den Bereich des Missbrauchs nicht, sodass er die häufig anzutreffende Auffassung der Missbrauchsträchtigkeit unternehmerischer Gestaltungen nicht bestätigen k...