Es erscheint fraglich, ob diese Rechtsansicht nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.4.2005 aufrechterhalten werden kann. In dieser Entscheidung zur Pflichtteilsentziehung wegen Lebensnachstellung gemäß § 2333 Ziff. 1 BGB ging es um einen schuldunfähigen Täter, der seine Mutter zunächst mehrfach tätlich angegriffen hatte und später erschlug. Das Bundesverfassungsgericht kam zum Ergebnis, dass für die Lebensnachstellung natürlicher Vorsatz ausreicht, es also auf ein Verschulden im strafrechtlichen Sinne nicht ankommt. Es betont dabei einerseits den hohen Rang des Pflichtteilsrechts des Abkömmlings, das als bedarfsunabhängiges Recht sogar Verfassungsrang gemäß Art. 14 Abs. Satz 1 iVm Art. 6 Abs. 1 GG hat, andererseits aber die ebenso grundrechtlich ebenfalls über Art. 14 GG geschützte Testierfreiheit des Erblassers. Bei einem außergewöhnlich schweren Fehlverhalten des Abkömmlings gegenüber dem Erblasser, das für diesen die Nachlassteilhabe des Abkömmlings unzumutbar mache, habe die Testierfreiheit Vorrang. Diesem Gebot sei bei einer verfassungskonformen Auslegung von § 2333 Ziff. 1 BGB Rechnung zu tragen, eben dadurch, dass für die Lebensnachstellung eine zielgerichtete Handlung ausreiche, strafrechtliche Schuld also nicht erforderlich sei. Dieser Auslegung stehe auch nicht der Wortlaut oder die Entstehungsgeschichte des § 2333 Ziff. 1 BGB entgegen. Ob dies auch für § 2339 Abs. 1 Ziff. 1 BGB gilt, hat das Bundesverfassungsgericht mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen lassen.
Für das Recht der Pflichtteilsentziehung hat sich der Gesetzgeber die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts in der ab dem 1.1.2010 geltenden Fassung des § 2333 Abs. 1 Ziff. 4 BGB gemäß dem Erbrechtsreformgesetz zu eigen gemacht, der lautet:
"Der Erblasser kann einem Abkömmling den Pflichtteil entziehen, wenn der Abkömmling (...) wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist. Gleiches gilt, wenn die Unterbringung des Abkömmlings in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Erziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat rechtskräftig angeordnet wird."
Die Erweiterung auf die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Erziehungsanstalt soll nach dem Gesetzgeberwillen dem Umstand Rechnung tragen, dass gemäß dem vorgenannten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.4.2005 eine Pflichtteilsentziehung nicht nur bei strafrechtlicher Schuld, sondern auch bei "natürlichem Vorsatz" geboten ist. Für das Recht der Pflichtteilsentziehung hält der Reformgesetzgeber daher den Entzug der grundsätzlich grundrechtlich geschützten Mindestbeteiligung am Nachlass auch dann, wenn der Betroffene nicht im engen strafrechtlichen Sinne schuldfähig ist, für angemessen.