Auch wenn sich aus dem im Einzelfall anwendbaren islamischen Recht aus den vorgenannten Gesichtspunkten nichts gegen die (Mit-)Erbenstellung des überlebenden deutschen Ehemanns ergibt, mag das Problem auftreten, dass dieses Recht keinen Ausschluss des Mörders der Erblasserin von der Nachlassteilhabe unter dem Gesichtspunkt der Erbunwürdigkeit vorsieht. Dann stellt sich die Frage, ob dieser Ausschluss über die deutsche Sachrechtsvorschrift des § 2339 Abs. 1 Ziff. 1 BGB aufgrund der ordre public – Klausel des Art. 6 EGBGB – erreicht wird.
Allerdings wird die kollisionsrechtlich unbedingte Anwendung der deutschen Erbunwürdigkeitsgründe (einschließlich der Tötung des Erblassers gemäß § 2339 Abs. 1 Ziff. 1 BGB) z.T. verneint oder jedenfalls für zweifelhaft gehalten. Die Berechtigung dieser Auffassung soll im Folgenden genauer untersucht werden.
Art. 6 EGBGB bestimmt, dass eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden ist, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere dann nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Art. 6 EGBGB kommt auch in Betracht, wenn sich die Unvereinbarkeit aus dem Fehlen einer gesetzlichen Regelung des Auslandsrechts ergibt, hier also bei Fehlen von Erbunwürdigkeitsgründen. Nicht jede Abweichung des ausländischen vom deutschen Sachrechts (auch nicht von dessen zwingenden Normen) stellt allerdings einen Verstoß gegen den ordre public dar, vielmehr muss der Widerspruch zu den dem deutschen Recht zugrunde liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen gerade untragbar sein.
Gemäß dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.4.2005 gebietet die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, Regelungen vorzusehen, die dem Erblasser eine Entziehung oder Beschränkung der Nachlassteilhabe des Kindes ermöglichen wegen groben Fehlverhaltens oder bei Gründen, die schwerwiegend genug sind, um von einer Unzumutbarkeit für den Erblasser, auszugehen. Der in § 2339 Abs. 1 Ziff. 1 BGB normierte Pflichtteilsunwürdigkeitsgrund der vorsätzlichen rechtswidrigen Tötung des Erblassers genügt diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen. Das Fehlen einer die Nachlassteilhabe des Erblassermörders ausschließenden Regelung würde daher meines Erachtens einen Verstoß gegen die grundrechtlich gewährte Erbrechtsgarantie darstellen. Insoweit spricht also nichts dagegen, in dem Ergebnis des ausländischen Rechts, dass der Mörder der Erblasserin Miterbe wird einen verstoß gegen den ordre public im Sinne von Art. 6 Satz 2 EGBGB zu sehen.
Die Erbrechtsgarantie als – nicht nur Inländern gewährtes – Menschenrecht erfüllt auch das für Art. 6 EGBGB aufgestellte Erfordernis des internationalen Anwendungswillens des beeinträchtigten Grundrechts.
Das Eingreifen des ordre public erfordert ferner einen hinreichenden Inlandsbezug, z. B. durch den gewöhnlichen Aufenthalt, die kulturelle Bindung des Rechtsträgers an das Inland und die Belegenheit von Vermögensmassen. Diese Voraussetzungen liegen in den hier betrachteten Fällen regelmäßig vor: Die Erblasserin hatte ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland, war hier berufstätig, beherrschte die deutsche Sprache, hatte einen deutschen Ehemann und Freunde aus dem deutschen Milieu, war allgemein westlichen Lebensformen aufgeschlossen und besaß nur inländisches Vermögen.
Die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen den ordre public ist umstritten: Als Ersatzrecht wird entweder auf die Sachnormen der lex fori oder diejenigen des von unseren Kollisionsnormen berufenen fremden Rechts abgestellt. In dem hier betrachteten Fall, dass das ausländische Recht gar keine Regelung der Erbunwürdigkeit des Nachlassmörders enthält, ist allerdings nicht ersichtlich, wie eine Lückenfüllung unter Heranziehung dieses Rechts zu dem von Art. 6 EGBGB gebotenen Ergebnis führen sollte. Daher ist meines Erachtens mit der erstgenannten Ansicht das deutsche Erb(sach)recht des § 2339 Abs. 1 Ziff. 1 BGB anzuwenden.