In den letzten Jahren haben Fälle Aufsehen erregt, in denen junge in Deutschland lebende Frauen von ihren nächsten Verwandten, meist ihren Brüdern, getötet wurden, weil sie durch ihren modernen, westlichorientierten Lebensstil nach Auffassung der Täter die Ehre der Familie beschädigt hätten. Bekannt wurden Fälle aus türkischen Familien, aber auch aus "Communities" mit anderweitigem Migrationshintergrund. Zum Teil beriefen sich die Täter auch auf islamische Wertvorstellungen.
1. Das Problem: Ggf. keine Erbunwürdigkeit des Mörders gemäß dem durch das deutsche IPR berufenen Recht
Neben der allfälligen strafrechtlichen haben diese Fälle unter Umständen auch eine prekäre erbrechtliche Dimension: Geht man von der nicht ungewöhnlichen Konstellation aus, dass das Opfer kinderlos war und kein Testament hinterlassen hat, kommt in Betracht, dass der Täter zum Kreis der gesetzlichen Erben gehört, der Bruder z. B. dann, wenn ein Elternteil nicht mehr lebt. War das Opfer – gemäß seiner kulturellen Aufgeschlossenheit – mit einem Deutschen verheiratet, findet sich der deutsche Ehemann ggf. in einer Erbengemeinschaft mit einem Mörder wieder. Ob dessen Nachlassteilhabe aus dem Gesichtspunkt der Erbunwürdigkeit verhindert wird, entscheidet sich nach dem über das deutsche Kollisionsrecht berufenen anwendbaren Erb(sach)recht, das durchaus nicht immer das deutsche Erbrecht sein muss. In diesem Zusammenhang sollen im Folgenden einige ausgewählte typische Konstellationen betrachtet werden.
2. "Deutsch-türkische" Fälle:
War die Erblasserin Türkin, finden die Regelungen der §§ 14 ff der Anlage zu Art. 20 des Konsularvertrages zwischen der Türkischen Republik und dem Deutschen Reiche vom 28.5.1929 (nachfolgend deutsch-türkisches Nachlassabkommen genannt) als gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 EGBGB dem autonomen Kollisionsrecht vorrangige Vorschriften Anwendung. Hinsichtlich des – hier schwerpunktmäßig behandelten – beweglichen Nachlasses finden gemäß § 14 Abs. 1 des deutsch-türkischen Nachlassabkommens die Gesetze des Landes, dem die Erblasserin zurzeit ihres Todes angehörte, Anwendung.
a) Erblasserin mit doppelter Staatsangehörigkeit
Hatte die Erblasserin gleichzeitig die deutsche Staatsbürgerschaft, findet das deutsch-türkische Nachlassabkommen keine Anwendung. Es findet also unmittelbar Art. 25 Abs. 1 EGBGB und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EBGB Anwendung, wonach deutsches Erb(sach)recht berufen ist. Dieser Anwendungsvorrang des deutschen Erbrechts ist unbedingt, es spielt es also keine Rolle, ob die Indizien des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EGBGB (z. B. gewöhnlicher Aufenthalt, wirtschaftliche und berufliche Beziehungen, sprachliche und kulturelle Zugehörigkeit; diese wären freilich im vorliegenden Falle zu bejahen, in dem die Erblasserin in Deutschland lebte und ggf. arbeitete und ihre Aufgeschlossenheit für die Lebensformen ihrer deutschen Umwelt z.B. durch entsprechende sprachliche Fertigkeit und Freundschaften zeigte) in concreto auf deutsches Recht hinweisen. In dem oben gebildeten Fall besteht dann eine Erbengemeinschaft zwischen dem Ehemann und dem Täter (u. ggf. weiteren Verwandten des Opfers). Der Ehemann kann dann die Nachlassteilhabe des Täters durch Anfechtungsklage wegen Erbunwürdigkeit gemäß § 2339 Abs. 1 Ziff. 1 BGB verhindern.
b) Erblasserin mit ausschließlich türkischer Staatsangehörigkeit
War das Opfer ausschließlich türkische Staatsangehörige, findet türkisches Erb(sach)recht Anwendung. Nach dem türkischen Zivilgesetzbuch in der Fassung des Gesetzes Nr. 4721 vom 22.11.2001 gehören zu den gesetzlichen Erben der Ehegatte (Art. 499 ZGB), und, wenn Kinder nicht vorhanden sind, die Eltern. Ist ein Elternteil vorverstorben, treten an deren Stelle die Nachkommen (Art. 496 Abs. 2 ZGB). Somit entsteht auch nach türkischem Recht in dem von uns betrachteten Fall eine Erbengemeinschaft zwischen dem Ehemann und dem Täter (u. ggf. weiteren Verwandten des Opfers). Auch das türkische Recht sieht Erbunwürdigkeit desjenigen vor, der den Erblasser vorsätzlich und rechtswidrig getötet hat (Art. 578 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB). Anders als im deutschen Recht tritt die Erbunwürdigkeit ohne Erfordernis einer Willenserklärung oder einer Klage ein, und zwar ex tunc. Somit wird auch nach türkischem Recht die Nachlassteilhabe des Mörders verhindert.
3. Fälle der Anwendung einer "islamischen" Rechtsordnung
War das Opfer weder deutsche noch türkische Staatsangehörige, wird – vorbehaltlich einer gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB angenommenen Rückverweisung auf das deutsche Sachrecht – über Art. 25 Abs. 1 EGBGB oder vorrangiges staatsvertragliches Kollisionsrecht ggf. das materielle Erbrecht eines anderen Staates zur Anwendung berufen. Dieses Ergebnis, die Anwendung eines dem deutschen Rec...