Einführung
Das Recht der Erbunwürdigkeit scheint von einer gewissen Beharrlichkeit geprägt. Anders als z. B. im Pflichtteilsrecht, in dem das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrecht vom 2.7.2009 (nachfolgend Erbrechtsreformgesetz genannt) wesentliche Neuerungen erbracht hat und jüngere Gerichtsentscheidungen zur Bewertung von Lebensversicherungen gemäß § 2311 BGB oder zum Fristlauf gemäß § 2325 Abs. 3 BGB beim Vorbehalt von Wohnrechten zum Andauern lebhafter Diskussionen geführt haben, vermittelt das Schrifttum zu den §§ 2339-2345 BGB den Eindruck, als seien hier die wesentlichen Fragen seit Längerem bereits erschöpfend diskutiert (wenn auch nicht einhellig geklärt). Dieser Eindruck täuscht. Das Bundesverfassungsgericht hat mit einer jüngeren Entscheidung zum Pflichtteils- und Erbunwürdigkeitsrecht die Weichen für die Auslegung der Erbunwürdigkeitsgründe der Tötungsdelikte gemäß § 2339 Abs. 1 Ziff. 1 neu gestellt, nämlich zum Schuldbegriff (dazu nachstehend I.) und zur Bedeutung dieser Erbunwürdigkeitsgründe als Bestandteil des deutschen ordre public im Internationalen Privatrecht gemäß Art. 6 EGBGB (dazu nachstehend IV.). Die wachsende Anzahl älterer Menschen und – damit verbunden – von Betreuungen verstärkt auch die Einfluss- und Missbrauchsmöglichkeiten des Betreuers hinsichtlich des Betreuten als potenziellen Erblassers, die von der herrschenden Auslegung der Erbunwürdigkeitstatbestände nicht hinreichend berücksichtigt werden (dazu nachstehend II.). Der Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe macht in jüngerer Zeit auch vor der Anrechnung erbrechtlichen Erwerbs nicht halt. Es stellt sich die Frage, ob diese Entwicklung auch für das Anfechtungsrecht gemäß § 2341 BGB Bedeutung hat (dazu nachstehend III.).
I. Der Schuldbegriff bei den Tötungstatbeständen des § 2339 Abs. 1 Ziff. 1 BGB
Gemäß § 2339 Abs. 1 Ziff. 1 BGB ist erbunwürdig, wer den Erblasser vorsätzlich und widerrechtlich getötet oder zu töten versucht hat.
1. Die herrschende Lehre: Schuld im Sinne strafrechtlicher Verantwortlichkeit
Nach herrschender Lehre muss der Täter schuldhaft gehandelt haben und zwar im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seiner Tat, Unzurechnungsfähigkeit schließt also Erbunwürdigkeit aus.
2. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.4.2005
Es erscheint fraglich, ob diese Rechtsansicht nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.4.2005 aufrechterhalten werden kann. In dieser Entscheidung zur Pflichtteilsentziehung wegen Lebensnachstellung gemäß § 2333 Ziff. 1 BGB ging es um einen schuldunfähigen Täter, der seine Mutter zunächst mehrfach tätlich angegriffen hatte und später erschlug. Das Bundesverfassungsgericht kam zum Ergebnis, dass für die Lebensnachstellung natürlicher Vorsatz ausreicht, es also auf ein Verschulden im strafrechtlichen Sinne nicht ankommt. Es betont dabei einerseits den hohen Rang des Pflichtteilsrechts des Abkömmlings, das als bedarfsunabhängiges Recht sogar Verfassungsrang gemäß Art. 14 Abs. Satz 1 iVm Art. 6 Abs. 1 GG hat, andererseits aber die ebenso grundrechtlich ebenfalls über Art. 14 GG geschützte Testierfreiheit des Erblassers. Bei einem außergewöhnlich schweren Fehlverhalten des Abkömmlings gegenüber dem Erblasser, das für diesen die Nachlassteilhabe des Abkömmlings unzumutbar mache, habe die Testierfreiheit Vorrang. Diesem Gebot sei bei einer verfassungskonformen Auslegung von § 2333 Ziff. 1 BGB Rechnung zu tragen, eben dadurch, dass für die Lebensnachstellung eine zielgerichtete Handlung ausreiche, strafrechtliche Schuld also nicht erforderlich sei. Dieser Auslegung stehe auch nicht der Wortlaut oder die Entstehungsgeschichte des § 2333 Ziff. 1 BGB entgegen. Ob dies auch für § 2339 Abs. 1 Ziff. 1 BGB gilt, hat das Bundesverfassungsgericht mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen lassen.
Für das Recht der Pflichtteilsentziehung hat sich der Gesetzgeber die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts in der ab dem 1.1.2010 geltenden Fassung des § 2333 Abs. 1 Ziff. 4 BGB gemäß dem Erbrechtsreformgesetz zu eigen gemacht, der lautet:
"Der Erblasser ...