Die wertungsmäßig unbefriedigende Möglichkeit einer "Anrechnung ohne Anrechnungsbestimmung" in Variante 2 lässt sich vermeiden, wenn man das Valutaverhältnis eines Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall als Rechtsgeschäft von Todes wegen einordnet, und zwar als Forderungsvermächtnis, das – mit Ausnahme der aufgrund einer teleologischen Reduktion nicht anwendbaren Formvorschriften – dem Erbrecht unterliegt.
1. Inhalt der Konstruktion
Dogmatisch ist diese Konstruktion verbunden mit einer Auslegung der §§ 328 Abs. 1, 331 Abs. 1 BGB als abstrakter Tatbestand zur Übertragung der gegen den Versprechenden (Lebensversicherer, Sparkasse, Bank) gerichteten Forderung. Der Dritte (Vermächtnisnehmer) erwirbt den gegen den Versprechenden gerichteten Anspruch derivativ aus dem Vermögen des Erblassers, mithin auch aus dessen Nachlass. Der Erblasser leistet dabei auf den den Erben treffenden Anspruch aus § 2174 BGB und bringt diesen gemäß § 267 Abs. 1 BGB mit dem Tod des Erblassers durch Erfüllung zum Erlöschen.
Wie sich diese Konstruktion dogmatisch begründen lässt, insbesondere, warum eine Abweichung vom Willen des historischen BGB-Gesetzgebers von 1900 heute nach Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 BGB verfassungsrechtlich zulässig ist, kann hier aus Platzgründen nicht erörtert werden; insofern sei auf die Dissertation des Verfassers verwiesen.
2. Auswirkungen im Pflichtteilsrecht
Folgt man der Einordnung des Valutaverhältnisses als Vermächtnis und zählt den nach den §§ 328 Abs. 1, 331 Abs. 1 BGB derivativ erworbenen Anspruch zum Nachlass, so richten sich Pflichtteilsansprüche allein nach §§ 2303, 2311 BGB. Der nach den §§ 328 Abs. 1, 331 Abs. 1 BGB erworbene Anspruch ist bei der Berechnung des Nachlasswerts nach § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB als Rechnungsposten mit einzustellen. Auch wenn dem Erben ein Anspruch durch Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall zugewendet wird, kann eine Anrechnung auf den Pflichtteil somit immer nur nach § 2315 Abs. 1 BGB erfolgen, d. h. nur dann, wenn der Erblasser bei der Schenkung an den Pflichtteilsberechtigten eine Anrechnungsbestimmung getroffen hatte.
Lösung Variante 2: Auf Grundlage der "Vermächtnislösung" steht P gegen D ein Pflichtteilsanspruch aus § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Zahlung von 80.000 EUR zu: Zum Nachlass (§ 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB) gehören dabei neben dem Grundstück im Wert von 100.000 EUR auch der derivativ nach den §§ 328 Abs. 1, 331 Abs. 1 BGB erworbene Anspruch der D auf Zahlung von 60.000 EUR aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB. Da E gegenüber der Sparkasse die Alleinerbin D als Dritte benannt hat, handelt es sich im Valutaverhältnis um ein Vorausvermächtnis nach § 2150 BGB. Bei der Pflichtteilsberechnung wird dieses Vorausvermächtnis allerdings nicht wertmindernd berücksichtigt: Alle Vermächtnisse gehen dem Pflichtteilsanspruch im Rang nach (§§ 1992, 1991 Abs. 4 BGB, § 327 Abs. 1 Nr. 1, 2 InsO) und können damit den Pflichtteil nicht schmälern. Mangels wirksamer Anrechnungsbestimmung muss P sich die Schenkung von 40.000 EUR nicht nach § 2315 Abs. 1 BGB auf den Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen.
Zusammen mit der bereits 2004 erhaltenen Schenkung von 40.000 EUR partizipiert P somit im Endergebnis – wie im Grundfall – in Höhe von 120.000 EUR am Vermögen des E. Ob E die D als Dritte eines Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall benennt (Variante 2) oder nicht (Grundfall), wirkt sich auf den Umfang von Pflichtteilsansprüchen des P nicht aus: In beiden Fällen greift zugunsten des P das Fehlen einer Anrechnungsbestimmung nach § 2315 Abs. 1 BGB ein und verhindert damit eine Anrechnung des Eigengeschenks. Hierdurch lässt sich der vom Gesetzgeber der Erbrechtsreform intendierte Schutz des Pflichtteilsberechtigten gleichmäßig und effektiv verwirklichen.