Zusammenfassung
Die rechtsberatende Praxis wird häufig mit Sachverhalten konfrontiert, in denen der Mandant und künftige Erblasser einem Pflichtteilsberechtigten eine Schenkung gemacht hat, dabei die für die Anrechnung auf den Pflichtteil nach § 2315 Abs. 1 BGB erforderliche Anrechnungsbestimmung aber vergessen hat. Um die Schenkung doch noch bei Pflichtteilsansprüchen zu berücksichtigen, bietet sich die sog. "Flucht in die Pflichtteilsergänzung" an, indem der Erblasser auch dem voraussichtlichen Erben eine Schenkung macht. Der Verfasser untersucht, ob und inwieweit sich diese Strategie durch Einsatz eines Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall noch verfeinern lässt.
A. Problemaufriss
Durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts vom 24. April 2008 ist § 2315 Abs. 1 BGB unverändert geblieben. Damit besteht das praktische Hauptproblem dieser Vorschrift fort, nämlich dass viele Erblasser die Notwendigkeit einer besonderen Anrechnungsbestimmung nicht kennen. Die rechtsberatende Praxis wird daher weiterhin mit Sachverhalten konfrontiert werden, in denen der Erblasser in der Vergangenheit (idR ohne rechtliche Beratung) dem Pflichtteilsberechtigten eine Schenkung gemacht hat, eine Bestimmung zur Anrechnung auf den Pflichtteil dabei aber unterlassen hat. Teilt der Rechtsberater dem Erblasser mit, dass die Schenkung auf etwaige Pflichtteilsansprüche des Beschenkten nicht "automatisch" angerechnet wird, ist es für eine Anrechnungsbestimmung nach § 2315 Abs. 1 BGB zu spät.
Um dem Interesse des Erblassers zum Durchbruch zu verhelfen, die Schenkung doch noch bei Pflichtteilsansprüchen des Beschenkten zu berücksichtigen, erweisen sich Strategien wie ein beschränkter Pflichtteilsverzicht nach § 2346 Abs. 2 BGB oder eine (ebenfalls der Form des § 2348 BGB bedürftige) Vereinbarung über eine nachträgliche Anrechnung auf den Pflichtteil meist als wenig praktikabel, da sie vom Konsens des Pflichtteilsberechtigten abhängen und dieser zur Aufgabe seines "anrechnungsfreien" Pflichtteils oft nicht bereit ist. Erfolg versprechender erscheint die – in der Rechtsberatung häufig übersehene – Strategie der sog. "Flucht in die Pflichtteilsergänzung", die vom Konsens des Pflichtteilsberechtigten unabhängig ist. Der vorliegende Beitrag untersucht, ob und inwieweit sich diese Strategie durch Einsatz eines Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall noch "verfeinern" lässt.
B. Gesetzliche Ausgangslage nach § 2315 Abs. 1 BGB
Beispielsfall
Der verwitwete Erblasser Erich (E) stirbt im Juli 2010. Alleinerbin wird aufgrund eines handschriftlichen Testaments aus dem Jahr 2009 seine Lebensgefährtin Dörte (D). An nennenswertem Vermögen hinterlässt E ein Grundstück im Wert von 100.000 EUR sowie ein Sparguthaben bei der Sparkasse (S) im Wert von 60.000 EUR. Im Januar 2004 hatte E seinem einzigen Kind Paul (P) eine Schenkung im Wert von (inflationsbereinigt auf den Tod) 40.000 EUR gemacht. Eine Anrechnungsbestimmung hatte E damals jedoch nicht abgegeben. Später kam es zu einem Zerwürfnis zwischen E und P. E enterbte P daher im Testament von 2009 und bestimmte dort ausdrücklich, dass P sich die 2004 erhaltene Schenkung auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen müsse. In welcher Höhe partizipiert P am Vermögen des E?
Um das bei vielen Erblassern bestehende Informationsdefizit über die Notwendigkeit einer Anrechnungsbestimmung zu kompensieren, sah der Regierungsentwurf zur Erbrechtsreform in § 2315 Abs. 1 BGB-E die Möglichkeit einer nachträglichen Anrechnungsbestimmung durch Verfügung von Todes wegen vor; er folgte damit den rechtspolitischen Forderungen des 64. Deutschen Juristentags und des juristischen Schrifttums. Der Rechtsausschuss des Bundestags verwarf diesen Änderungsvorschlag aber, da er das Vertrauen des Zuwendungsempfängers auf eine fehlende Anrechnung insoweit für schutzwürdiger hielt; er folgte damit den Bedenken, die J. Mayer in der Sachverständigenanhörung vom 8. Oktober 2008 vorgetragen hatte.
Lösung Beispielsfall: Mangels wirksamer Anrechnungsbestimmu...