Mittlerweile ist für sämtliche Grundfreiheiten anerkannt, dass diese nicht nur als Diskriminierungsverbote, sondern auch als sogenannte Beschränkungsverbote wirken. Dies gilt nach herrschender Meinung auch für das Steuerrecht. Eine nationale steuerliche Rechtsnorm verstößt demnach auch dann gegen die Grundfreiheiten, wenn sie eine nachteilige steuerliche Behandlung zwar nicht auf die Staatsangehörigkeit oder ein vergleichbares Kriterium gründet, gleichwohl aber unterschiedslos nachteilig wirkt. Auch unterschiedslos anzuwendende, damit diskriminierungsfreie Maßnahmen sind jedenfalls dann geeignet, grenzüberschreitende Betätigungen genauso wie Diskriminierungen zu behindern. Eine bestimmte Intensität ist nicht gefordert. Der EuGH verfährt insoweit großzügig. Es genügt, wenn die Ausübung einer Grundfreiheit aufgrund der jeweiligen Maßnahme als "weniger attraktiv" erscheint. Ergänzt werden die Erkenntnisse zu den Grundsätzen des Beschränkungsverbots durch das aus dem Diskriminierungsverbot abgeleitete Gleichstellungsverbot, das einerseits bedeutet, dass natürliche Personen bzw. Gesellschaften, die sich in objektiv vergleichbaren Situationen befinden, nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen. Es beinhaltet zum anderen auch das Verbot, ungleiche Sachverhalte gleich zu behandeln.
(1) Niederlassungsfreiheit
Auch wenn die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nach ihrem Wortlaut insbesondere die Inländergleichbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern sollen, so verbieten sie es auch, dass der Herkunftsstaat die Niederlassung seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindert. Über eine Behinderung des Wegzugs hinaus fallen unter das Beschränkungsverbot auch Vorschriften, die sich an den Herkunftsstaat richten und vergleichbare Investitionen ungleich behandeln. Die im Fallbeispiel zu diskutierende Rechtsvorschrift bestimmt für die Berechnung der Ausgangslohnsumme iSd § 13 a Abs. 1 Satz 3 ErbStG und der Mindestlohnsumme iSd § 13 a Abs. 1 Satz 2 ErbStG, dass die Lohnsummen von Gesellschaften, an denen eine Beteiligung von mehr als 25 % besteht, entsprechend ihrer Beteiligungshöhe in die Lohnsummenberechnung mit einzubeziehen sind (Variante 2) und dass die Lohnsummen von Gesellschaften, an denen eine Beteiligung von 25 % oder weniger besteht, nicht in die Lohnsummenberechnung mit einzubeziehen sind (Variante 1). Die im Fallbeispiel zu diskutierende Rechtsvorschrift verwendet demnach als Differenzierungskriterium die Beteiligungshöhe (von mehr als 25 %) an anderen Gesellschaften, um eine unterschiedliche steuerliche Behandlung des Erbanfalls durchzuführen. Eine solche Rechtsvorschrift behält die indirekte Gewährung eines steuerlichen Vorteils, der über die bei der Berechnung der Lohnsumme nicht zu berücksichtigenden Lohnsummen der Gesellschaften, die aufgrund der Höhe des an ihnen gehaltenen Anteils in die Lohnsummenberechnung nicht mit einbezogen werden, solchen Betrieben vor, die Beteiligungen mit einer Beteiligungshöhe von unter 25 % an anderen Gesellschaften halten (Variante 1). Aufgrund einer solchen Ungleichbehandlung kann die Motivation, eine Investition an Gesellschaften im Inland und im Ausland zu tätigen bzw. Betriebsstätten oder Tochtergesellschaften im Inland und im Ausland zu gründen, beschränkt werden bzw. kann es zu einer Regulierung der Beteiligungshöhe an Gesellschaften kommen. Daher ist zu prüfen, ob diese Ungleichbehandlung nach den Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt ist.