aaa) Niederlassungsfreiheit
Die Niederlassungsfreiheit, Art. 43 ff AEUV, schützt das Recht natürlicher und juristischer Personen, sich im Hoheitsgebiet jedes Mitgliedstaates niederzulassen, um eine selbstständige Tätigkeit auszuüben, oder durch Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen, Betriebsstätten oder Tochtergesellschaften in einem anderen als dem Mitgliedstaat, in dem sie ansässig sind, tätig zu werden. Wesentliches Merkmal ist die Aufnahme einer wirtschaftlichen Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat, d. h. eine Erbringung von Leistungen gegen Entgelt, die im vorliegenden Fallbeispiel gegeben ist und vom weiten Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit umfasst wird.
bbb) Kapitalverkehrsfreiheit
Der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit ist durch Art. 56 Abs. 1 AEUV und die nachfolgenden Art. 57 und 58 abgegrenzt und umfasst den Kapitalverkehr sowohl zwischen den Mitgliedstaaten als auch zwischen Mitgliedstaaten und dritten Ländern. Schon aus diesem Grund ist der sachliche Anwendungsbereich wesentlich weiter als jener der anderen Grundfreiheiten, die nur den Wirtschaftsverkehr im Binnenmarkt umfassen. Im AEU-Vertrag fehlt es an einer begrifflichen Definition des Kapitalverkehrs. Zur Bestimmung des Kapitalverkehrs greift der EuGH der ständigen Rechtsprechung auf die Aufzählung von Kapitalverkehrsvorgängen in der Kapitalverkehrsrichtlinie (insbes. Anhang I) zurück. Die Kapitalverkehrsrichtlinie enthält eine nicht abschließende Aufzählung der Vorgänge, die unter den Kapitalverkehr fallen, darunter sämtliche Arten entgeltlicher und unentgeltlicher Wertübertragungen als Erscheinungsformen des Kapitalverkehrs, bspw. Direktinvestitionen, Immobilieninvestitionen, Geschäfte mit Wertpapieren und anderen Geldmarktinstrumenten, Darlehen, Kredite, Bürgschaften, Garantien, Schenkungen, Erbschaften sowie die Ein- und Ausfuhr von Vermögenswerten. Bei der Beteiligung an einer Gesellschaft ist ungeachtet des Ausmaßes dieser Beteiligung ein von der Kapitalverkehrsfreiheit geschützter Sachverhalt gegeben. Gegenüber der Niederlassungsfreiheit ist eine klare Trennung im Sinne einer einfachen tatbestandlichen Exklusivität kaum möglich. Letztendlich bleibt festzuhalten, dass durch eine Steuer, die an substanzielle Vermögensbewegungen anknüpft und daraus resultierende Vermögenszuwächse erfasst, zumindest die Kapitalverkehrsfreiheit beeinträchtigt werden kann. Vor diesem Hintergrund ist die Kapitalverkehrsfreiheit in die weiteren Betrachtungen einzubeziehen. Das Rangverhältnis von Niederlassungsfreiheit zu Kapitalverkehrsfreiheit ist indes nicht eindeutig geklärt. An dieser Stelle wird auf eine vertiefende Auseinandersetzung mit der Abgrenzungsproblematik verzichtet, da die inhaltliche Ausgestaltung aller Grundfreiheiten eine gemeinsame Struktur aufweist. Abgesehen von vielen Besonderheiten ist die Erkenntnis wichtig, dass die Grundfreiheiten im Grundsatz nebeneinander anwendbar sind.