Urteil: Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) und von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten, in denen sich zum einen die Stadt Wuppertal (Deutschland) und Frau Maria Elisabeth Bauer (Rechtssache C-569/16) und zum anderen Herr Volker Willmeroth als Inhaber der TWI Technische Wartung und Instandsetzung Volker Willmeroth e. K. und Frau Martina Broßonn (Rechtssache C-570/16) gegenüberstehen, über die Weigerung der Stadt Wuppertal und von Herrn Willmeroth, in ihrer Eigenschaft als frühere Arbeitgeber der verstorbenen Ehemänner von Frau Bauer und Frau Broßonn diesen eine finanzielle Vergütung für von ihren Ehemännern nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zu zahlen.
Rechtlicher Rahmen Unionsrecht: Im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 1993, L 307, S. 18) war ausgeführt: "In der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, die von den Staatsund Regierungschefs von elf Mitgliedstaaten auf der Tagung des Europäischen Rates von Straßburg am 9. Dezember 1989 verabschiedet wurde, heißt es unter ... Punkt 8 ... wie folgt: (...) "
"8. Jeder Arbeitnehmer der Europäischen Gemeinschaft hat Anspruch auf die wöchentliche Ruhezeit und auf einen bezahlten Jahresurlaub, deren Dauer gemäß den einzelstaatlichen Gepflogenheiten auf dem Wege des Fortschritts in den einzelnen Staaten einander anzunähern ist. ..."
Nach ihrem ersten Erwägungsgrund erfolgte durch die Richtlinie 2003/88, mit der die Richtlinie 93/104 aufgehoben wurde, eine Kodifizierung der Bestimmungen der Richtlinie 93/104.
Die Erwägungsgründe 4 bis 6 der Richtlinie 2003/88 lauten: "(4) Die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit stellen Zielsetzungen dar, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen. "
(5) Alle Arbeitnehmer sollten angemessene Ruhezeiten erhalten. Der Begriff ,Ruhezeit‘ muss in Zeiteinheiten ausgedrückt werden, d. h. in Tagen, Stunden und/oder Teilen davon. Arbeitnehmern in der (Europäischen Union) müssen Mindestruhezeiten – je Tag, Woche und Jahr – sowie angemessene Ruhepausen zugestanden werden. ...
(6) Hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung ist den Grundsätzen der Internationalen Arbeitsorganisation Rechnung zu tragen; dies betrifft auch die für Nachtarbeit geltenden Grundsätze.“ Art. 7 der Richtlinie 2003/88, der mit Art. 7 der Richtlinie 93/104 wörtlich übereinstimmt, sieht vor: "(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind. "
(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.“ Nach Art. 17 der Richtlinie 2003/88 können die Mitgliedstaaten von bestimmten Vorschriften dieser Richtlinie abweichen. Eine Abweichung von Art. 7 der Richtlinie ist jedoch nicht zulässig.
Deutsches Recht: § 7 Abs. 4 des Bundesurlaubsgesetzes vom 8. Januar 1963 (BGBl. 1963 S. 2) in der Fassung vom 7. Mai 2002 (BGBl. 2002 I S. 1529) (im Folgenden: BUrlG) bestimmt: "Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten."
§ 1922 ("Gesamtrechtsnachfolge") Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) lautet: "Mit dem Tode einer Person (Erb-fall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über."
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen: Frau Bauer ist alleinige Rechtsnachfolgerin ihres am 20. Dezember 2010 verstorbenen Ehemanns, der bei der Stadt Wuppertal beschäftigt war. Diese lehnte den Antrag von Frau Bauer auf Zahlung einer Vergütung in Höhe von 5 857,75 EUR zur Abgeltung von 25 Tagen bezahlten Jahresurlaubs ab, die ihr Ehemann vor seinem Tod nicht genommen hatte.
Frau Broßonn ist alleinige Rechtsnachfolgerin ihres am 4. Januar 2013 verstorbenen Ehemanns, der seit 2003 bei Herrn Willmeroth beschäftigt und seit Juli 2012 arbeitsunfähig krank war. Herr Willmeroth lehnte den Antrag von Frau Broßonn auf Zahlung einer Vergütung in Höhe von 3 702,72 EUR zur Abgeltung von 32 Tagen nicht genommenen Jahresurlaubs ab, die ihr Ehemann vor seinem Tod nicht genommen hatte.
Frau Bauer und Frau Broßonn klagten beide vor dem jeweils zuständigen Arbeitsgericht (Deutschland) auf Zahlung der betreffenden Vergütungen. Diesen Klagen wurde stattgegeben. Die Berufungen der Stadt Wuppertal und von Herrn Willmeroth gegen die erstinstanz...