Wie üblich, wurden Auskünfte eingeholt und Konten ausgewertet. Chronologien – insb. bzgl. des medizinischen Verlaufs – wurden erstellt und ergaben ein ziemlich eindeutiges Bild, welches mit den Schilderungen der Tochter übereinstimmt und sehr lebensnah war. Es war klar, welche Kosten der Vater regelmäßig hatte, welche Ausgaben wofür getätigt worden waren. Jedenfalls hinsichtlich der unbaren Verfügungen konnte berichtet werden. Die Notarverträge bzgl. der neuen Vollmacht und des Immobilienverkaufs waren nicht zu beanstanden, wenngleich bei einem anderen Notar gefertigt, ohne dass hierfür ein nachvollziehbarer Grund ermittelbar war. Auffällig war ebenso, dass Friedhelms letzte Wohnung, das Heim, nicht ansatzweise seiner Vermögenslage entsprach. Angeblich sei er nicht bereit gewesen, so viel Geld dem Heim "in den Rachen zu werfen". Also tatsächlich: Alles Auffällige begann mit dem Auftreten der Pflegerin und am Ende – sehr salopp gesagt – war alles weg; ein Teil bei der Pflegerin; jedenfalls der, der nachgewiesen werden konnte.
Ihr Background wurde durchleuchtet und ja: Sie war schon angefallen. Wegen Verletzung des Postgeheimnisses, Verleumdung, Freiheitsberaubung, Körperverletzung, Diebstahl, Betrug und Untreue. Und ja, es waren hochbetagte Opfer. Die Verfahren wurden nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Warum? Weil die Einlassungen der Pflegerin nicht entkräftet werden konnten: So habe sie mit dem Willen der Opfer diese zu Hause eingeschlossen, die Post geöffnet und umgeleitet, notwendige Pflege nicht ausführen und gebotene Arztbesuche nicht realisieren können, weil die alten Herrschaften dies stets abgelehnt hätten. Befragt werden konnte keiner von diesen. Entweder waren sie tot oder so dement, dass die Aussagen nicht widerlegt werden konnten. Es war auffällig, dass es immer ihr passierte und sprach nicht wirklich für sie. Aber das liegt vielleicht an ihrer Arbeit. Da komme man nun mal den Menschen sehr nah und die sind oft nicht mehr "ganz auf der Höhe".
Die Konten und die Vernehmungen von Zeugen (Arzt, Bank, Nachbarn) bestätigten das Bild der Tochter. Der Vater war eigen und wusste (früher jedenfalls) genau, was er wollte. Bargeld hat er nie abgehoben, er nutzte viel lieber seine EC-Karte. Und ja, die Abhebungen nahmen erkennbar zu, als die Pflegerin ins Leben trat. Die Bank hat sogar versucht, ihn darauf anzusprechen, aber es ging nicht mehr ohne Beisein der Pflegerin. Er wirkte ziemlich verstört, lehnte aber jede Hilfe ab. Er wollte sogar später die Konten auflösen, weil das Vertrauen zerrüttet sei. Man hätte es von der Geschäftsleitung lieber gesehen, aber dann würde niemand mehr aufpassen. Dann – recht plötzlich – hob er das meiste Barvermögen ab. Gründe nannte er keine. Dabei war immer die Pflegerin, die niemand gekannt hatte und von der er auch zuvor nie gesprochen habe. Die Tochter hingegen sei bekannt. Sie habe sich immer um die Überweisungen gekümmert und der Vater hätte sich nie beschwert. Man solle mal den Nachbarn fragen, der ihn früher zur Bank gefahren hatte.
Dieser Nachbar berichtete Alarmierendes: dass der alte Herr gesundheitlich ziemlich schnell abgebaut habe. Dass er plötzlich verschlossen gewesen und das übliche Schwätzchen am Gartentor abgelehnt habe. Dass der Gärtner nicht mehr ins Haus gelassen und die Post nicht mehr geöffnet worden sei. Aber Friedhelm sei ja alt gewesen. Und ja, die Tochter sei oft da gewesen und habe auch bei ihm verzweifelt geklingelt, weil sie den Vater nicht erreichen konnte. Er habe dann genauer hingesehen, aber der alte Herr hätte das Haus im Grunde gar’nicht mehr verlassen. Also habe er sich ein Herz gefasst und über die Terrasse ins Haus gesehen. Friedhelm sei sehr schwach und abgemagert gewesen, habe blaue Flecken gehabt und einen dreckigen Verband getragen, aber von innen freudig gewunken. Doch die Tür habe er nicht öffnen können. Im Zimmer habe es unordentlich ausgesehen, überall hätten Essen und verschmutze Windeln herumgelegen. Aber was hätte der Nachbar denn tun sollen? Wen hätte er anrufen können? Die Polizei? Weswegen? Weil das Zimmer unordentlich war? Die Tür verschlossen? Und wie hätte Friedhelm das gefunden? Der Nachbar passte die Pflegerin ab, sprach sie auf den Zustand von Friedhelm, die dreckige Wohnung, die verschlossenen Türen an. Sie war freundlich, sagte, dass Friedhelm das selbst so gewollt habe, damit er nicht vor die Tür gehe und sich draußen verlaufe. Dass er mehrfach gestürzt sei und sich verletzt habe, aber partout nicht ins Krankenhaus wolle. In letzter Zeit passiere das häufiger und sie können ja nun nicht immer da sein. Und das Saubermachen treibe sie auch um, aber Friedhelm sei das alles zu viel und ihn störe die Unordnung nicht. Jedenfalls weniger als der Lärm des Staubsaugers. Tja und irgendwann, so der Nachbar, sei Friedhelm einfach weg gewesen. Die Pflegerin habe gemeint, er wäre in einem Heim. Es gehe nicht mehr anders. Er wusste nicht, wo Friedhelm lebte. Das letzte, was er mitbekam, war dessen Tod. Weil seit dieser Zeit d...