Leitsatz
Die Formulierung "Anrechnung auf den Erbanteil" anlässlich einer lebzeitigen Zuwendung wird nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig nicht als Anrechnungsbestimmung im Sinne des § 2315 BGB ausgelegt.
Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 13. November 2007 – 3 U 54/07
Sachverhalt
Zwischen den Parteien war streitig, ob eine lebtägliche Zuwendung iHv 100.000,00 DM auf den Pflichtteil anzurechnen ist oder nicht.
Im Jahr 1993 hatte der Erblasser seiner Tochter einen ldbetrag iHv 100.000,00 DM geschenkt. Begleitend zu dieser Schenkung schrieb der Erblasser
Zitat
"für den geplanten Bau eines Einfamilienhauses schenke ich Dir, unter Anrechnung auf Deinen späteren Erbanteil, einen Betrag iHv 100.000,00 DM".
Die Klägerin war das einzige Kind des am 13.9.2005 verstorbenen Erblassers. Dieser war in zweiter Ehe mit der Beklagten verheiratet. Die Beklagte wurde aufgrund eines gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute vom 29.9.2003 Alleinerbin nach ihrem Ehemann. Nach Ziff. 6 des Testaments war bestimmt, dass sich die Klägerin die von ihrem Vater erhaltene Zahlung iHv 100.000,00 DM auf ihren Pflichtteilsanspruch anrechnen zu lassen habe. Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass ihr ein Pflichtteilsanspruch ohne Anrechnung der – unstreitig geleisteten – Zahlung der 100.000,00 DM zustünde. Es sei keine wirksame Anrechnungsbestimmung getroffen worden. Die Beklagte war der Auffassung, dass in dem Schreiben des Erblassers vom 21.12.1993 eine eindeutige Anrechnungsbestimmung zu sehen sei.
Das Landgericht hat der Klage in erster Instanz insoweit stattgegeben, als der Pflichtteilsanspruch der Klägerin aus einem fiktiven Nachlasswert, nämlich dem Wert des Nachlasses zuzüglich des indexierten Wertes der Schenkung, zu errechnen sei, ging jedoch ansonsten von einer wirksamen Anrechnungsbestimmung im Sinne des § 2315 BGB aus. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung der Klägerin. Die Berufung hatte in vollem Umfang Erfolg.
Aus den Gründen
Die Klägerin braucht sich auf ihren Pflichtteilsanspruch die Zahlung vom Dezember 1993 nicht anrechnen zu lassen. Eine Anrechnungsbestimmung nach § 2315 Abs. 1 BGB ist nicht nachgewiesen. Eine Anrechnungsbestimmung des § 2315 Abs. 1 BGB erfolgt durch eine einseitige empfangsbedüftige Willenserklärung vor oder bei der Zuwendung. Sie kann ausdrücklich oder stillschweigend geschehen. Die Erklärung muss dem Pflichtteilsberechtigten nach allgemeiner Meinung zum Bewusstsein gekommen sein, womit gemeint ist, dass sie dem Erklärungsempfänger in ihrer Tragweite bewusst wurde und er deshalb in der Lage war, abwägen zu können, ob ihm die Zuwendung eine Verminderung seines späteren Pflichtteils wert ist. Beweisbelastet für eine derartige Anrechnungsbestimmung ist der Erbe (OLG Düsseldorf, FamRZ 1994, 1491; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1990, 393; Soergel/Dieckmann, 13. Aufl. 2002; § 2315 Rn 6; Staudinger/Haas, 13. Bearb. 1998, § 2315 Rn 26 ff; kritisch MüKo/Lange, 4. Aufl. 2004, § 2315 Rn 6 f).
In Rechtsprechung und Kommentarliteratur wird eine Formulierung wie "Anrechnung auf den Erbteil" regelmäßig nicht als Anrechnungsbestimmung iSd § 2315 BGB ausgelegt. Eine dahingehende Auslegung sei vielmehr nur ausnahmsweise zulässig. Die zitierte Formulierung könne ebenso gut nur als Ausdruck dafür gemeint sein, dass der Empfänger die Zuwendung gegenüber anderen Abkömmlingen des Erblassers nach den §§ 2050 ff BGB zur Ausgleichung zu erbringen habe. Nur besondere Umstände könnten ausnahmsweise die Annahme rechtfertigen, dass darüber hinaus unmittelbar eine pflichtteilsrechtliche Wirkung beabsichtigt gewesen und dies dem Empfänger auch bewusst geworden sei (OLG Düsseldorf, FamRZ 1994, 1491; Staudinger/Haas, § 2315 Rn 23; Soergel/Diekmann, § 2315 Rn 6; Palandt/Edenhofer, 66. Aufl. 2007, § 2315 Rn 3 a E.; wohl auch MüKo/Lange, § 2315 Rn 8 bei Anm. 28). Auch das OLG Karlsruhe hat in der von der Klägerin wiederholt zitierten Entscheidung (NJW-RR 1990, 393) eine ähnliche Formulierung nicht als Anrechnungsbestimmung im Sinne des § 2315 BGB ausgelegt, allerdings mit einer sich aus dem dortigen Sachverhalt ergebenden anderen Begründung; so war dort etwa schon ungewiss, auf welches Erbe sich die Anrechnung beziehen solle.
Nach allem enthält das Schreiben vom 21. Dezember 1993 eine Erklärung, deren Inhalt nach objektivem Empfängerhorizont auch unter Berücksichtigung der Begleitumstände nicht eindeutig festzustellen ist. Ebenso wenig ist festzustellen, dass die Klägerin das Schreiben als Anrechnungsbestimmung nach § 2315 BGB verstanden hat oder zumindest hätte verstehen müssen. Diese Unklarheiten müssen zulasten der darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten gehen. Eine Beweiserhebung ist nicht vonnöten. Mit keinem der von ihr angebotenen Beweismittel ließe sich der Inhalt der Erklärung oder deren Verständnis durch die Klägerin zweifelsfrei feststellen. Die Beklagte verweist auf Erklärungen des Erblassers gegenüber Dritten, denen er erklärt habe, dass er sie zur Alleinerbin einsetzen wolle, und weiter, dass er gegenüber der Klägerin bei der Zahlung eine Anrechnun...