Die Schwelle zur Sittenwidrigkeit liegt – das belegt unsere Lehrformel – sehr hoch. Mit bloßen Defiziten bei für geboten gehaltener Rücksichtnahme etwa – wie Otte meint, Sittenwidrigkeit festmachen zu können – ist die nur ausnahmsweise anzuerkennende Grenze freier Testierung sicher nicht zu erreichen. Erhebliche Zweifel sind daher gegenüber der Ansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart und des OLG Hamm angebracht, nach der die Erbausschlagung eines Behinderten, um Vorteile von den nächstberufenen Erben und weiterhin Sozialhilfe zu erhalten, sittenwidrig sei. Otte verteidigt – wohl allein – diese Auffassung wehement, weil ein solches Vorgehen gegen die sittliche Pflicht zur Rücksichtnahme – nämlich die Pflicht, anderen nicht ohne Notwendigkeit zur Last zu fallen – verstoße. Mit einem derartigen Ansatz drohte die begrenzende Wirkung der Sittenwidrigkeit der Beliebigkeit anheim zu fallen. Diese Einschätzung widerspricht zudem nicht nur den dargelegten anerkannten Beurteilungs- und Bewertungsmaßstäben zum Behinderten- und Überschuldetentestament. Sie verkennt darüber hinaus, dass der Betreuer des Behinderten über das erbrechtliche Institut der Erbausschlagung gerade versucht hat, dem erkennbaren Erblasserwillen möglichst zu entsprechen – was Otte bei Gerichten dagegen so oft vermisst – und dessen Zielsetzung, dem Betreuten Gutes zu tun, umzusetzen. Ärger ist indes, dass mit dem Postulat einer Pflicht zur Rücksichtnahme ein konturloser Begriff abhängig von den Vorstellungen des jeweiligen Beurteilers eingeführt wird, über den dann auch noch ein Grundrecht im erheblichen Maße entwertet werden soll. Rücksichtnahmepflichten sind zudem im Recht der Schuldverhältnisse gemäß § 241 Abs. 2 BGB angesiedelt, nicht aber bei den einseitigen letztwilligen Verfügungen und der sie beherrschenden Testierfreiheit.
Erb- und verfassungsrechtlich vermögen derartige Begrenzungsbestrebungen jedenfalls nicht zu überzeugen. Die Faustregel, der Erblasser schulde nahen Angehörigen nicht mehr als den Pflichtteil, hat – entgegen Otte – durchaus ihren methodischen Sinn. Das war der eingangs erläuterte Ausgangspunkt, die Testierfreiheit finde ihre Grenzen zunächst im Pflichtteilsrecht. Es versteht sich, dass diese Grundfaustregel die nach § 138 BGB zusätzlich notwendige Prüfung nicht verbieten oder vorwegnehmen kann. Der Senat hat die neben dem Pflichtteilsrecht auch noch zu beachtende Grenzziehung über die Generalklauseln stets betont. Zu warnen ist aber davor, allzu leichtfertig darüber Rechtshandlungen zu unterbinden zu suchen, zumal wenn sie Grundrechtsschutz genießen. Mit mehr dem zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Bereich zuzuordnenden Geboten zur Rücksichtnahme lässt sich diese Gefahr nicht bannen.
Pflichtteilsrechte und die hohe Hürde der Generalklauseln als Einschränkung der Testierfreiheit geben der Faustregel Nr. 4 iS einer absoluten Grenzziehung ihre prägende Gestalt.