Faustregeln zu Grenzen der Testierfreiheit
Einführung
Der Beitrag versucht aus höchstrichterlicher Sicht der letzten zwei Dekaden, das Verhältnis von Erblasserfreiheit zur Erbenfreiheit und daraus abzuleitende Grenzen der Testierfreiheit auszuloten. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs insbesondere zum Pflichtteilsrecht, zum Behindertentestament, zur Ebenbürtigkeitsklausel und zur Testamentsvollstreckungsdauer werden Antworten aufgezeigt, deren Kenntnis für die erbrechtliche Beratungs- und Gestaltungspraxis unverzichtbar sind. Die daraus entwickelten Faustregeln sollen dabei helfen, auf der sicheren, d.h. auf der haftungsfreien Seite zu stehen, und es ermöglichen, auch denjenigen bei der Grenzziehungsdebatte fest ins Auge zu sehen, die eine etwas andere Beantwortung bevorzugen.
A. Das Spannungsverhältnis
Die Beziehung zwischen der Freiheit des Erblassers und der des Erben lässt sich an folgender etwas gespenstisch anmutenden Szene Shakespear’scher Attitude aus der Goldgräbersiedlung "Nugget County" illustrieren.
I. Duncans Testament
Der oberste Goldgräber Duncan hatte sich die ebenfalls einflussreiche Ortsgröße Macbeth durch seinen auf Schürferfolge zurückgeführten Wohlstand zum Erzfeind gemacht. Macbeth kamen die Gerüchte gelegen, die Pokerverluste von Duncan überstiegen dessen Goldfunde; in Wahrheit bediene dieser sich heimlich aus den Goldwaschtrögen anderer. Auf die Anzeige Macbeth’s, Duncan beim Pferdediebstahl ertappt zu haben, wird diesem schließlich kurzer Prozess gemacht: Tod durch den Strang! Am Abend vor seiner Hinrichtung verfasst Duncan beim Kerzenschein sein Testament. Darin verfügt er:
Zitat
Macbeth erhält alles, was ich habe.
Jeder, dem es aber in den nächsten fünf Jahren gelingt, vor Gericht den Beweis zu führen, dass ich – Duncan – ihn bestohlen habe, kann von Macbeth als Schadensersatz den gesamten Nachlass herausverlangen abzüglich diesem entstandener Kosten und einer Aufwandsentschädigung. Gelingt der Nachweis mehreren, soll der Nachlass entsprechend geteilt werden.
Das Drama, was sich nach der Exekution in Nugget County abspielt, ist unschwer zu erahnen: Fast jeder Einwohner versucht sein Glück vor Gericht mit der Behauptung, der Erblasser habe ihn bestohlen. Macbeth sieht sich veranlasst, positive Eigenschaften des Erblassers zu entdecken und ihn öffentlich in bestem Licht erscheinen zu lassen, was darin gipfelt, Duncan als Wohltäter von Nugget County ein Standbild zu errichten. Zwar bleiben die Klagen sämtlich erfolglos, aber der Nachlass Duncans wird völlig durchgebracht und auch das eigene Vermögen Macbeth’s und das der Kläger aufgezehrt. Macbeth ist zudem moralisch bankrott und das Gemeinwesen Nugget County am Ende. Als Macbeth schließlich die Wirkung seiner Entscheidung, das Testament anzunehmen, erkennt, verfällt er dem Wahnsinn. Seine Leiche wird auf den infolge einer Regenflut nach oben gespülten Gräbern des Friedhofs gefunden.
"Dead among the dead"
lautete lakonisch der örtliche Kommentar.
II. Instrumentalisierung von Erben
Diese Szenerie verdanken wir Ambrose Bierce. Ihre Wiederentdeckung zur Erläuterung des Gestaltungsrahmens letztwilliger Verfügungen nach deutschem Recht Inge Kroppenberg mit ihren glänzenden Analysen in dem Aufsatz "Wer lebt, hat Recht" – lebzeitiges Rechtsdenken als Fremdkörper in der Inhaltskontrolle von Verfügungen von Todes wegen.
Mit Kroppenberg kann in der Zuwendung des gesamten Vermögens gemäß § 2087 Abs. 1 BGB die Einsetzung Macbeth’s als Alleinerben und in der Anordnung, den Nachlass an Beweisführer eines Eigentumsdelikts durch den Erblasser herauszugeben, gemäß § 2100 BGB die Einsetzung von Nacherben angesehen werden. Nicht ganz so unproblematisch ist dagegen die Wirksamkeit des Testaments zu beurteilen. Denn das vom Testator Duncan initiierte Szenario entwickelt sich – Shakespear’schen Dramen gleich – unaufhaltsam; der Einfluss des toten Duncan auf die Überlebenden erscheint übermächtig. Damit ist das Spannungsverhältnis mit den Forderungen nach einer Korrektur der letztwilligen Verfügung offen gelegt: Solchen Ansinnen von Testatoren müssten doch schon aus Gründen der Rücksichtnahme Grenzen gesetzt werden. Sonst mutierten die erbrechtlichen Gestaltungsmittel zu unerträglichen Herrschaftsinstrumenten der Toten über die Lebenden; die Selbstbestimmung letztwillig Verfügender triumphiere über die nur noch fremdbestimmten Bedachten. Ein solcher Druck auf die Gestaltung der persönlichen Verhältnisse sei potenziellen Erben nicht zuzumuten.
Erweitert man die Ausgangsszene um eine zusätzliche Verfügung, in der Duncan den gerade volljährig gewordenen Macduff als Testamentsvollstrecker auf Lebenszeit einsetzt mit Verlängerungsbefugnis durch Berufung von Nachfolgevollstreckern, werden die sachlichen und zeitliche...