1. Einführung

Jeder Miterbe kann über seinen "Anteil an dem Nachlass" (§ 1922 Abs. 2: "Erbteil") verfügen (§ 2033 Abs. 1 S. 1), und zwar ohne Zustimmung der anderen Erben (diese haben kein Widerspruchsrecht). Nach § 1922 Abs. 2 finden auf den Erbteil die sich auf "die Erbschaft" beziehenden Vorschriften Anwendung (vgl. z. B. §§ 1942 ff, 1960, 2371 ff). Der wichtigste Unterschied zwischen Erbschaft und Erbteil findet sich nun aber gerade in § 2033 Abs. 1 S. 1, denn über "die Erbschaft" kann nicht in einem Akt verfügt werden; der Alleinerbe kann stets nur über die einzelnen Nachlassgegenstände verfügen; verkauft er "die Erbschaft" (§§ 2371 ff), so vermag er seine Verkäuferpflicht nur dadurch zu erfüllen, dass er jeden einzelnen Gegenstand der Erbschaft nach den für ihn geltenden Regeln (z. B. §§ 929 ff; 398; 925, 873) einzeln überträgt. Übertragen sämtliche Miterben ihre Erbteile an denselben Dritten, so übertragen sie in der praktischen Konsequenz "die Erbschaft" als Ganze, sodass das Gesetz den Miterben in vollem Umfang dasjenige gewährt, was es dem Alleinerben versagt. Das Verfügungsrecht des Miterben erweist sich auch als Ausnahme im Vergleich der drei Gesamthandsgemeinschaften des BGB: Weder bei der BGB-Gesellschaft (§ 719 Abs. 1) noch bei der Gütergemeinschaft (§ 1419 Abs. 1) sieht das Gesetz Übertragbarkeit des Gesamthandanteils vor; bei der BGB-Gesellschaft kann immerhin der Gesellschaftsvertrag etwas anderes bestimmen, bei der Gütergemeinschaft dagegen ist die Nichtverfügbarkeit zwingend.

Bei der Erbengemeinschaft erweist sich umgekehrt die gesetzliche Anordnung der Verfügbarkeit als zwingend: Der Erblasser kann sie nicht ausschließen oder einschränken, insbesondere nicht von der Zustimmung der Miterben oder der Zustimmung eines Testamentsvollstreckers abhängig machen.[1] Ein Testamentsvollstrecker kann nicht über einen Miterbenanteil an dem von ihm verwalteten Nachlass verfügen, denn der Erbteil gehört nicht zum "Nachlass" (§ 2205).[2] Zulässig ist aber die Übernahme einer schuldrechtlichen Verpflichtung durch einen Miterben, den Erbteil nicht zu veräußern oder zu belasten (§ 137 S. 2); ein Verstoß hiergegen führt jedoch nur zur Schadensersatzpflicht und macht nicht die Verfügung selbst unwirksam.

[1] Zu Letzterem RG WarnR 1915, Nr. 292; RG JW 1915, 245; LG Essen Rpfleger 1960, 58; Erman/Schlüter, 12. Aufl., § 2033 Rn 1; Staudinger/Werner, 2002, § 2033 Rn 4.
[2] Der Testamentsvollstrecker kann aber über die Erbteile an anderen Nachlässen, die dem Erblasser beim Erbfall zustanden, verfügen, BGH NJW 1984, 2464 (2465).

2. Ratio der Verfügbarkeit

Worin liegt der Grund für die Privilegierung des Miterben?[3] Die Erbengemeinschaft ist nicht wie die BGB-Gesellschaft und die Gütergemeinschaft auf die Dauer bestimmt und nicht so eng wie bei der BGB-Gesellschaft und schon gar nicht wie bei der Ehe. Sie ist nicht freiwillig eingegangen. Gegen das Eindringen eines unwillkommenen Dritten schützt das Vorkaufsrecht der §§ 2034 ff. Die Zulassung der Übertragung ermöglicht dem einzelnen Miterben eine zustimmungsunabhängige Verwertung seines Anteils und mildert so die Härten der Gesamthand (wie sie sich etwa aus den §§ 2033 Abs. 2, 2038, 2040 und vor allem aus § 2044 Abs. 2 ergeben). Wollte man dem Miterben die rechtsgeschäftliche Verfügung über seinen Anteil nicht zugestehen, müsste man konsequenterweise auch die Zwangsvollstreckung in den Anteil untersagen; das aber liefe auf einen systemwidrigen Schutz echten Vermögens vor den Eigengläubigern des einzelnen Miterben (und auch vor den Nachlassgläubigern) hinaus; denn die Erbeneigengläubiger vermögen wegen § 747 ZPO (in der Regel) nicht in Gegenstände des ungeteilten Nachlasses zu vollstrecken (und die Nachlassgläubiger können nur über die Pfändung des Erbteils den Auseinandersetzungsanspruch des einzelnen Erben geltend machen).

[3] Zum Folgenden Protokolle, V, S. 838 f; Leonhard, 2. Aufl., § 2030 Anm. I.

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