Leitsatz
Im Einzelfall kann sich die vorzunehmende Konkretisierung einer Patientenverfügung, die weniger detailliert bestimmte ärztliche Maßnahmen auflistet, durch Bezugnahme auf ausreichend beschriebene Krankheiten und bestimmte Behandlungssituationen ergeben. Im Zuge der Auslegung ist sodann zu ermitteln, ob eine hinreichend konkrete Erklärung vorliegt.
Die Auslegung der formbedürftigen Willenserklärung erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen. Soweit zur Auslegung der Urkunde außerhalb dieser liegende Umstände berücksichtigt werden sollen, so muss der diesbezügliche Wille zumindest andeutungsweise in der Urkunde zum Ausdruck kommen.
Die Auslegung einer Patientenverfügung durch das Beschwerdegericht kann in der Instanz der Rechtsbeschwerde nur insoweit geprüft werden, ob die Entscheidung den gesamten Auslegungsstoff berücksichtigt, die gesetzlichen oder allgemein anerkannten Auslegungsregeln berücksichtigt, Erfahrungssätze und logische Denkgesetze berücksichtigt und keine Verfahrensfehler erkennbar sind.
BGH, Beschluss vom 14. November 2018 – XII ZB 107/18
Sachverhalt
Die im Jahr 1940 geborene Betroffene erlitt im Mai 2008 einen Schlaganfall und befindet sich seit einem hypoxisch bedingten Herz-Kreislaufstillstand im Juni 2008 in einem wachkomatösen Zustand (ICD-10: F03). Sie wird seitdem über eine Magensonde (PEG) künstlich ernährt und mit Flüssigkeit versorgt.
Bereits im Jahr 1998 hatte die Betroffene eine schriftliche "Patientenverfügung" folgenden Inhalts unterzeichnet:
Zitat
"Für den Fall, daß ich (...) aufgrund von Bewußtlosigkeit oder Bewußtseinstrübung (...) nicht mehr in der Lage bin, meinen Willen zu äußern, verfüge ich: "
Solange eine realistische Aussicht auf Erhaltung eines erträglichen Lebens besteht, erwarte ich ärztlichen und pflegerischen Beistand unter Ausschöpfung der angemessenen Möglichkeiten.
Dagegen wünsche ich, daß lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist,
- daß ich mich unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozeß befinde, bei dem jede lebenserhaltende Therapie das Sterben oder Leiden ohne Aussicht auf Besserung verlängern würde, oder
- daß keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewußtseins besteht, oder
- daß aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt, oder
- daß es zu einem nicht behandelbaren, dauernden Ausfall lebenswichtiger Funktionen meines Körpers kommt.
Behandlung und Pflege sollen in diesen Fällen auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist. Ich möchte in Würde und Frieden sterben können, nach Möglichkeit in meiner vertrauten Umgebung.
Aktive Sterbehilfe lehne ich ab.
Ich bitte um menschliche und seelsorgerische Begleitung.“
In derselben Urkunde erteilte sie für den Fall, dass sie außerstande sein sollte, ihren Willen zu bilden oder zu äußern, dem Beteiligten zu 1 (im Folgenden: Sohn) als ihrer Vertrauensperson die Vollmacht,
Zitat
"an meiner Stelle mit der behandelnden Ärztin (...) alle erforderlichen Entscheidungen abzusprechen. Die Vertrauensperson soll meinen Willen im Sinne dieser Patientenverfügung einbringen und in meinem Namen Einwendungen vortragen, die die Ärztin (...) berücksichtigen soll."
Zu nicht genauer festgestellten Zeitpunkten von 1998 bis zu ihrem Schlaganfall äußerte die Betroffene mehrfach gegenüber verschiedenen Familienangehörigen und Bekannten angesichts zweier Wachkoma-Patienten aus ihrem persönlichen Umfeld, sie wolle nicht künstlich ernährt werden, sie wolle nicht so am Leben erhalten werden, sie wolle nicht so daliegen, lieber sterbe sie. Sie habe durch eine Patientenverfügung vorgesorgt, das könne ihr nicht passieren.
Im Juni 2008 erhielt die Betroffene einmalig nach dem Schlaganfall die Möglichkeit, trotz Trachealkanüle zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie ihrer Therapeutin: "Ich möchte sterben."
Unter Vorlage der Patientenverfügung von 1998 regte der Sohn der Betroffenen im Jahr 2012 an, ihr einen Betreuer zu bestellen, und erklärte sich zur Übernahme der Betreuung bereit. Gleichzeitig bat er darum, den Beteiligten zu 2 (im Folgenden: Ehemann) zum Ersatzbetreuer zu bestellen. Das Amtsgericht bestellte daraufhin den Sohn und den Ehemann zu jeweils alleinvertretungsberechtigten Betreuern der Betroffenen.
Der Sohn der Betroffenen ist, im Einvernehmen mit dem bis dahin behandelnden Arzt, seit 2014 der Meinung, die künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr solle eingestellt werden, da dies dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen der Betroffenen entspreche. Ihr Ehemann lehnt dies ab.
Den Antrag der Betroffenen, vertreten durch ihren Sohn, auf Genehmigung der Therapiezieländerung dahingehend, dass künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr eingestellt werden sollten, hat das Amtsgericht abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Nach Aufhebung dieser Entscheidung durch den Senat (Senatsbeschluss BGHZ 214, 62 =...