In Erbfällen vor dem 1.1.2010 (vgl. Art. 229 § 23 Abs. 4 EGBGB) war es zwingend notwendig, dass der pflegende Abkömmling zudem ganz oder teilweise auf berufliches Einkommen verzichtet haben musste.[15] Wer nicht berufstätig und auch nicht berufswillig war, "verzichtete" nicht auf Einkommen und war deshalb nicht ausgleichungsberechtigt.[16] Der Zusatz "unter Verzicht auf berufliches Einkommen" ist mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts vom 23.9.2009[17] am 1.1.2010 entfallen. Auch, wenn ein Abkömmling, zugunsten der Pflege nicht auf berufliches Einkommen verzichtet, erfüllt er eine wichtige Aufgabe, die dem Erhalt des Vermögens des Erblassers dient.[18] Ein Erwerbsnachteil des Abkömmlings ist daher unabdingbare keine Voraussetzung des Ausgleichsanspruches.

[15] OLG Schleswig-Holstein, Urt. v. 15.6.2012 – 3 U 28/11 ZEV 2013, 86 (90); RGRK-BGB/Kregel Rn 6.
[16] OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.08.1997 – 7 U 251/96, OLGR 1998, 81 (82); Staudinger/Werner, 2010, § 2057a BGB Rn 17; Soergel/Wolf, § 2057a BGB Rn 7.
[17] BGBl I S. 3142.
[18] BeckOK-BGB/Lohmann, 55. Ed. 1.8.2020, § 2057a Rn 8.

1. Keine zeitliche Begrenzung

Eine zeitliche Begrenzung oder Abschichtung analog § 2325 BGB enthält § 2057a BGB nicht. Trägt der Erbe also etwa vor, er habe vor 20 Jahren das Dach des elterlichen Hauses auf eigene Kosten erneuert, kann sich darin ein ausgleichspflichtiger Tatbestand verwirklichen.

2. Nicht belegte und streitige Umstände

Sofern Angaben nach § 2057a BGB in den Kreis der Daten einzubeziehen sind, die der Notar in das notarielle Nachlassverzeichnis aufzunehmen hat, erfüllt er diese Aufgaben durch Auflistung der vom Erben mitgeteilten besonderen Leistungen, gegebenenfalls ergänzt durch eingeholten Auskünfte bei Miterben.

Diese Angaben sind häufig nicht belegt und werden vom Pflichtteilsberechtigten bei dessen Anhörung oft bestritten. Zu klären ist, ob sich die Ermittlungsaufgabe des Notars auch auf die Einholung von Nachweisen erstreckt wie z.B. ärztliche Bescheinigungen oder Zeugenaussagen von Angehörigen. Auch wenn der Notar nicht verpflichtet ist, das Nachlassverzeichnis mit Belegen zu versehen, legt ihm die Rechtsprechung doch nahe, sich Belege zu verschaffen, wo Belege erteilt werden. Jedoch dürfte die Einholung urkundlicher Beweise als Ausnahme zu verstehen sein. Eine Verpflichtung zur Beweisaufnahme ist mangels dahingehender rechtlicher Bestimmung ansonsten zu verneinen.

3. Ergebnisauswertung

Das notarielle Nachlassverzeichnis soll es dem Pflichtteilsberechtigten ermöglichen, seinen Pflichtteilsanspruch gegen den Erben zu ermitteln, der sich nach der Hälfte des gesetzlichen Erbanspruches berechnet. Dabei steht der Hinzurechnungsbetrag gemäß § 2325 BGB zu berücksichtigender Schenkungen dem Abzugsbetrag aufgrund besonderer Leistungen nach § 2057a BGB gegenüber. Gemäß § 2057a Abs. 4 BGB sind besondere Leistungen in der Weise anzurechnen, dass bei der Pflichtteilsberechnung der um besondere Leistungen verminderte Nachlasswert zugrunde zu legen ist.

Eine Besonderheit der Ausgleichung besonderer Leistungen im Sinne des § 2057a BGB ist die Unschärfe der Rechtsfolge. Anders als bei Schenkungen des Erblassers findet keine betragsgenaue Anrechnung statt. Vielmehr sind die besonderen Leistungen bei der Ausgleichung bzw. der Pflichtteilsberechnung zu berücksichtigen. Einschlägige Entscheidungen begnügen sich deshalb auch mit Billigung des Bundesgerichtshofes mehr oder weniger grob gegriffenen Monatsbeträgen.[19] Im Vordergrund bei der Berücksichtigung von Pflegeleistungen steht dabei der Vorteil einer vermiedenen Heimunterbringung. Ein Ausgleichungsbetrag kann sich dann in Anlehnung an den Eigenanteil bei Heimkosten ergeben, der von Pflegeheimen bei ihren Internetauftritten ausgewiesen wird. Ob sich die fiktive monatliche Ersparnis verringert, weil die Erblasserwohnung gekündigt oder vermietet hätte werden können,[20] ist eine Frage des Einzelfalls.

Das OLG Schleswig hat in seinem Urteil vom 22.11.2016[21] beispielhaft die Schritte der Urteilsfindung zur Bemessung eines Ausgleichungsbetrages bei Pflegeleistungen dargelegt. Dem Gericht kommt es zu, aus dem Vortrag der Prozessparteien einen berücksichtigungsfähigen Sachverhalt herauszufiltern und in gerichtlicher Ermessensausübung eine Bewertung des Einflusses besonderer Leistungen auf das Vermögen des Erblassers vorzunehmen. Der Notar sollte sich über das Zusammentragen der erbenseits dargelegten Leistungen hinaus einer Ergebnisauswertung enthalten, auch wenn er den Beteiligten damit nicht das gewünschte Ergebnis präsentiert. Selbstverständlich kann er sie über die Handhabung der Rechtsprechung belehren.

Nimmt der Notar gleichwohl die Bewertung vor, bleibt sie unverbindlich und setzt den Notar dem Risiko aus, letztlich sogar seinen Vergütungsanspruch zu verlieren, weil er seine Neutralitätspflicht verletzt hat und das Verzeichnis deshalb als unbrauchbar erachtet wird. Ein Beteiligter ist im Zweifel immer unzufrieden.

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