Bei der Beurteilung der Anwendbarkeit der EuErbVO auf eine Verfügung von Todes wegen ergeben sich keine Besonderheiten, soweit es um den sachlichen, räumlich-persönlichen und internationalen Anwendungsbereich geht. Insoweit kann auf die Ausführungen oben III.1.a) verwiesen werden. Der intertemporale Anwendungsbereich der EuErbVO auf Verfügungen von Todes wegen bedarf dagegen einer gesonderten Betrachtung.
a) Anwendbarkeit aufgrund von Art. 83 Abs. 3 Alt. 1 EuErbVO
Wie bereits gezeigt eröffnete Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 EuErbVO in dem vom BGH entschiedenen Fall nicht den Anwendungsbereich der EuErbVO. Es war deshalb zu prüfen, ob sich deren Anwendbarkeit aus Art. 83 Abs. 3 Alt. 1 EuErbVO ergibt. Anders als Art. 83 Abs. 2 EuErbVO knüpft Art. 83 Abs. 3 EuErbVO für die Anwendbarkeit der Verordnung nämlich nicht an den Erblasser, sondern an die Verfügung von Todes wegen an.
Allerdings erfasst die Vorschrift nach ihrem Wortlaut gerade nicht die Bindungswirkung eines Erbvertrags. Teilweise wird vertreten, Art. 83 Abs. 3 EuErbVO sei auf die Bindungswirkung analog anzuwenden. Das überzeugt jedoch nicht. Neben dem klaren Wortlaut der Vorschrift spricht auch ihr Zweck, das Vertrauen der Erblasser in eine wirksame Verfügung zu schützen, gegen eine analoge Anwendung, denn die fehlende Bindungswirkung einer Verfügung von Todes wegen berührt ihre Wirksamkeit nicht. Schutzwürdig ist dagegen das Vertrauen des Erblassers, dass eine wirksam von ihm errichtete Verfügung von Todes wegen nicht nachträglich unwirksam wird.
b) Anwendbarkeit aufgrund von Art. 83 Abs. 1 EuErbVO
Damit richtet sich die Anwendbarkeit der EuErbVO auf die Bindungswirkung eines Erbvertrags, der keine Rechtswahl i.S.v. Art. 83 Abs. 2 EuErbVO enthält, allein nach Art. 83 Abs. 1 EuErbVO, wonach die Verordnung nur auf die Rechtsnachfolge von Personen Anwendung findet, die am 17.8.2015 oder danach verstorben sind. Danach wäre die EuErbVO auf die Bestimmung des auf die Bindungswirkung des Testaments von 1996 anwendbaren Rechts anwendbar. Mangels wirksamer Rechtswahl wäre das anwendbare Recht gemäß Art. 25 Abs. 2 UAbs. 2 EuErbVO zu bestimmen. Das OLG München hatte insoweit, vom BGH unbeanstandet, das deutsche Recht für anwendbar gehalten, nach dem die Bindungswirkung des Testaments von 1996, wie der BGH zutreffend feststellt, den späteren Verfügungen der Erblasserin entgegensteht.
Allerdings ist die EuErbVO erst ab dem 17.8.2015 anwendbar. Es wäre also zu prüfen gewesen, ob das Testament 1996 auch im Zeitpunkt der Errichtung der weiteren Testamente der Erblasserin in den Jahren 2011 und 2013 bereits Bindungswirkung entfaltete. Vor dem 17.8.2015 richtete sich die Bindungswirkung einer Verfügung von Todes wegen nach den Art. 25 Abs. 1, 26 Abs. 5 EGBGB in der vom 1.9.1986 bis zum 16.8.2015 geltenden Fassung. Danach war das Recht des Staates anwendbar, dem der Erblasser im Zeitpunkt der Verfügung angehörte. Haben Personen unterschiedlicher Staatsangehörigkeit ein gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag errichtet und ist die Verfügung nach einem der durch Art. 25 Abs. 1 EGBGB berufenen Rechte nicht bindend, was hier nach österreichischem Recht der Fall war, so ist umstritten, nach welchem Recht sich die Bindungswirkung richtet. Nach einer Ansicht soll das Recht, das die stärkere Bindung vorsieht, über den Einfluss der mangelnden Bindung des anderen Teils entscheiden, nach anderer Ansicht setzt sich das Recht durch, das keine Bindung vorsieht. Nach beiden Ansichten entfaltet das Testament von 1996 hier keine Bindungswirkung, denn man muss wohl davon ausgehen, dass die Bindungswirkung einer wechselbezüglichen Verfügung des deutschen Ehegatten analog § 2270 Abs. 1 BGB entfällt, wenn das Erbstatut des anderen Ehegatten, wie hier, keine Bindungswirkung vorsieht.
Das Testament von 1996 entfaltete also keine Bindungswirkung, die den späteren Verfügungen der Erblasserin entgegengestanden hätte. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit dem von Art. 83 EuErbVO bezweckten Vertrauensschutz. Denn die Erblasserin durfte darauf vertrauen, dass ihre 2011 und 2013 wirksam errichteten Testamente nicht nachträglich unwirksam werden. Der favor testamentii ist also vorliegend entgegen der Auffassung des BGH kein Argument für, sondern ein Argument gegen die Anwendbarkeit der EuErbVO.