Die Bindungswirkung eines Erbvertrags über mehrere Nachlässe wirkt sich im Rahmen der EuErbVO nicht erst bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts (dazu unten IV.), sondern bereits bei der Bestimmung ihres Anwendungsbereichs aus, wobei die Verordnung zwischen der Anwendbarkeit auf eine Rechtwahl (1.) und der Anwendbarkeit auf eine Verfügung von Todes wegen (2.) differenziert.
1. Anwendung auf eine Rechtswahl
Bei der Bestimmung der Anwendbarkeit der EuErbVO auf eine Rechtswahl in einem Erbvertrag ist die Anzahl der an der Rechtswahl Beteiligten zu berücksichtigen.
a) Sachlicher, räumlich-persönlicher und internationaler Anwendungsbereich
Für den sachlichen Anwendungsbereich der EuErbVO spielt die Anzahl der an einer Rechtswahl Beteiligten keine Rolle. Einseitige Verfügungen von Todes wegen sind von der EuErbVO sachlich ebenso erfasst wie Erbverträge i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. b EuErbVO, zumal Letztere in Art. 25 EuErbVO eine Sonderregelung erfahren. Räumlich-persönlich sind die Kollisionsnormen der EuErbVO gemäß Art. 20 EuErbVO universell anwendbar; auch hier wird auf die Mehrzahl von Testierenden nicht gesondert abgestellt.
Bei der Bestimmung des internationalen Anwendungsbereichs ist dagegen der Pluralität von Testierenden Rechnung zu tragen. Die Verordnung enthält zwar keine explizite Regelung zum internationalen Anwendungsbereich, gleichwohl ist ein grenzüberschreitender Bezug erforderlich, an den aber keine hohen Anforderungen zu stellen sind. Nach Ansicht des BGH ergab sich der grenzüberschreitende Bezug vorliegend aus der österreichischen Staatsangehörigkeit ihres Ehemanns. Das ist bemerkenswert, denn der Ehemann war bereits 2003 verstorben. Die Staatsangehörigkeit des Ehemanns an sich konnte deshalb einen grenzüberschreitenden Bezug in 2017 nicht mehr begründen. Nichtsdestotrotz ist dem BGH zuzustimmen, denn er hatte über die Bindungswirkung des 1996 von der Erblasserin gemeinsam mit ihrem österreichischen Ehegatten errichteten Testaments zu entscheiden. Bei der weiteren Prüfung der Anwendbarkeit der EuErbVO bleibt der österreichische Ehegatte der Erblasserin allerdings zu Unrecht unberücksichtigt.
b) Intertemporaler Anwendungsbereich
Gemäß Art. 83 Abs. 1 EuErbVO findet die Verordnung auf die Rechtsnachfolge von Personen Anwendung, die am 17.8.2015 oder danach verstorben sind. Zutreffend stellt der BGH fest, dass die Verordnung auf die Rechtsnachfolge der Erblasserin Anwendung findet, denn die Erblasserin ist 2017 verstorben.
Die Anwendbarkeit der EuErbVO auf die Bindungswirkung des Testaments von 1996 richtet sich nach Ansicht des BGH nach Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 EuErbVO. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, wenn eine Rechtswahl in Betracht gezogen wird, wie hier vom BGH. Nicht gefolgt werden kann dem BGH aber, soweit er annimmt, Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 EuErbVO würde die Anwendbarkeit von Art. 25 Abs. 3, Art. 22 Abs. 2 EuErbVO begründen.
Der BGH begnügt sich insoweit mit dem Verweis auf seinen Beschluss vom 10.7.2019 – IV ZB 22/18, in dem er überzeugend ausgeführt hat, dass Art. 83 Abs. 2 Alt. 1 EuErbVO auch Erbverträge erfasse. Dabei übersieht der BGH jedoch, dass Art. 83 Abs. 2 EuErbVO, anders als Art. 83 Abs. 3 EuErbVO, die Anwendbarkeit der EuErbVO nicht pauschal für eine Verfügung von Todes wegen – oder hier für die Rechtsnachfolge von Todes wegen –, sondern nur insoweit für anwendbar erklärt, als "der Erblasser" das auf seine Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht vor dem 17.8.2015 gewählt hat. Soweit es also um die Anwendbarkeit von Art. 25 Abs. 3 EuErbVO geht, der eine Rechtswahl durch "die Parteien" eines Erbvertrags zulässt, und soweit zu diesen Parteien mehrere Erblasser gehören (wie es bei dem Testament von 1996 der Fall ist), ist die Anwendbarkeit der Art. 25 Abs. 3, Art. 22 Abs. 2 Alt. 2 EuErbVO für jede dieser Parteien gesondert festzustellen. Nur wenn die Anwendbarkeit für alle Personen bejaht wird, deren Nachlass im Erbvertrag geregelt ist, ist die Wirksamkeit einer in diesem Erbvertrag enthaltenen Rechtswahl nach der EuErbVO zu beurteilen.
Der klare Wortlaut von Art. 83 Abs. 2 EuErbVO wird durch eine systematische Auslegung der EuErbVO bestätigt, die an anderer Stelle danach unterscheidet, ob eine Rechtswahl von einer Person (Art. 22 Abs. 1 EuErbVO) oder von den "Parteien" (Art. 25 Abs. 3 EuErbVO) getroffen wird und bei Letzterer eine Vereinbarung der Parteien über das anwendbare Recht voraussetzt. Schließlich spricht auch der Sinn und Zweck von Art. 83 Abs. 2 EuErbVO für diese Auslegung, da Art. 83 Abs. 2 bis 4 EuErbVO bezweckt, das Vertrauen der Erblasser in die Wirksamkeit ihrer vor dem 17.8.2015 getroffenen Rechtswahl oder errichteten Verfügung von Todes wegen zu schützen, wenn sie nach diesem Datum versterben. Denn bei einem Erbvertrag im Sinne der EuErbVO ist das Vertrauen aller beteiligten Erblasser schutzwürdig.
Der BGH hätte also prüfen müssen, ob Art. 25 Abs. 3 EuErbVO auch auf den Ehegatten der Erblasserin anwendbar ist. Das ist nich...