Die gesetzliche Erbfolge kann durch letztwillige Verfügung nicht geändert oder gar beseitigt werden. Darauf abzielende Verfügungen sind unwirksam. Das französische Erbrecht kennt obendrein keinen Erb- oder Pflichtteilsverzicht!
Das Vermögen des Erblassers teilt sich vielmehr in den Teil, der dem gesetzlichen Erbrecht untersteht; gesprochen wird von "Reservat", "la réserve" bzw. Erbvorbehalt. Der übrige Vermögensteil ist die "quotité disponible", also die "verfügungsfreie Erbquote".
Anders als das deutsche Recht gewährt der CC den gesetzlichen Erben ("héritiers réservataires") nicht nur einen geldwerten Vorteil, sondern eine Nachlassbeteiligung, d.h. eine Erbenstellung. Pflichterben sind auf jeden Fall die Abkömmlinge des Erblassers.
Sollte eine letztwillige Verfügung, vornehmlich Testament, diese Regel brechen wollen, bleibt die Verfügung zwar unangetastet, jedoch beschränkt durch das Recht der Pflichterben, mittels Herabsetzungsklage (Art. 920 ff. CC) eine entsprechende Reduzierung via Gerichtsentscheidung zu erreichen. Das Klagerecht verjährt nach fünf Jahren (Art. 921 CC). Die Erbschaftsreform hat die Erbenstellung insoweit eingeschränkt, als den "Noterbberechtigten" nur noch ein Ausgleichsanspruch in Geld zugesprochen werden kann. Der deutsche Erbrechtler stellt die Ähnlichkeit zum deutschen Pflichtteilsanspruch fest. Gleichwohl ist ein Erfüllungsanspruch nicht ausgeschlossen, tritt jedoch hinter dem Geldanspruch zurück (Art. 924, 924-1 CC).
Die Diskussion des Ausschlusses von Pflichtteilsrechten bei Anwendung ausländischen Rechts gab es in Frankreich ebenfalls. Der BGH bestätigte in seinem Urt. v. 29.6.2022 die Unvereinbarkeit der Anwendung englischen Erbrechts mit dem deutschen ordre public, soweit hierdurch Kindern des Erblassers ihr Pflichtteil abgeschnitten würde. Ohne Details über diese vielfach besprochene Entscheidung an dieser Stelle aufzurollen, sei festgehalten: Nach deutscher Sicht ist das Pflichtteilsrecht als Institutionsgarantie dem Bestand des deutschen ordre public zuzurechnen; dies wurde schon verfassungsrechtlich aufgrund Art. 14 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG zementiert. Der französische Gesetzgeber gründete das Pflichtteilsrecht hingegen auf ein Prinzip der Republik, und zwar mit dem Gesetz (Loi n°) 2021-1109 vom 24.8.2021 "confortant le respect des principes de la République". Dieses Gesetz änderte mit Wirkung zum 1.11.2021 den Code civil dergestalt, dass eine Umgehung des französischen Pflichtteilsrechts untersagt bleibt, woraufhin sich eine Debatte über die Vereinbarkeit mit der EuErbVO anschließen sollte. Art. 913 CC in deutscher Übersetzung:
Zitat
"Ist der Erblasser oder mindestens eines seiner Kinder zum Zeitpunkt seines Todes Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder hat es dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt und sieht das auf den Erbfall anzuwendende ausländische Recht keinen Mechanismus für einen Vorbehalt zum Schutz der Kinder vor, so können jedes Kind oder seine Erben oder Rechtsnachfolger einen Ausgleichsabzug von dem am Todestag in Frankreich befindlichen Vermögen vornehmen, um in die ihnen nach französischem Recht zustehenden Vorbehaltsrechte im Rahmen dieser Rechte wiedereingesetzt zu werden."
Anlass zur Gesetzesänderung war die konträre Sicht der französischen Höchstgerichtsbarkeit: Die Cour de cassation qualifizierte den Ausschluss von Pflichtteilsrechten gerade nicht als Verstoß gegen den Grundsatz des ordre public, der über französisches IPR zur Prüfung stand. Denn die Anwendung ausländischen Rechts (hier kalifornisches Erbrecht) hätte dazu geführt, dass testamentarisch nicht bedachte Kinder keinen Pflichtteil hätten beanspruchen dürfen. Aus der Warte der Cour de cassation hätten Pflichtteile nicht mehr die gesellschaftliche Bedeutung wie vormals, was durch die EuErbVO ausgedrückt sei, die einen solchen Weg explizit vorsehe. Daher wollten die Pariser Höchstrichter nur dann einen Verstoß gegen den ordre public bejahen, sobald minderjährige und wirtschaftlich bedürftige Anspruchsinhaber ihre Pflichtteile geltend machen würden.