Diese Basis schwindet im Wettbewerb um günstige Finanzierung von Unternehmen. In der Praxis wird weithin auf Bewertungsgutachten gesetzt, die durch angloamerikanische Ideen und Bewertungsmuster geprägt sind. International treten vor allem die sogenannten "International Financial Reporting Standards" (IFRS) hervor. Sie werden fragwürdig formuliert durch den International Accounting Standards Board (IASB), eine privat getragene Interessenorganisation von Wirtschaftsprüfern und Rechnungslegern in London.[50]

Die Europäische Union hat deren Wirkung mangels eigener Ordnungskraft massiv befördert, indem IFRS seit 1.1.2005 verbindlich für Konzernabschlüsse kapitalmarkorientierter Unternehmen in der Gemeinschaft übernommen worden sind (§ 315a HGB).[51] Damit greifen originär aus den USA stammende Bewertungsmuster (sog. U.S. "Generally Accepted Accounting Principles", International Valuation Standards etc.). Sie sind – entgegen der ursprünglichen Kapitalmarktgesetzgebung nach dem großen Börsencrash 1929 ("New Deal") – seit über siebzig Jahren ebenfalls durch die betroffenen privaten Berufskreise (Standesvertretungen von Abschlussprüfern und Rechnungslegern) geprägt.[52]

Die Dominanz der USA, ihrer Kapitalmärkte und begleitender Finanzökonomie hat diese Bewertungsmuster weltweit etabliert. Ihr Manipulationspotenzial ist frühzeitig behandelt worden.[53] Die Weltfinanzkrise belegt die Kritik: Mangels Rechtskonzept und Systematik sowie entsprechend unzulänglicher Prüfung und Aufsicht bieten diese Muster ein Spielfeld, auf dem mit Zahlenakrobatik selbstsüchtige Gewinnmaximierung ("shareholder value") betrieben wird. Einhergehende Vertrags- und Ratingpraxis der Finanzindustrie hat eine Masse entsprechend manipulativer, inhaltsleerer Instrumente produziert;[54] z. B. bei den Derivaten.[55]

Bezugspunkt der Bewertung sind Finanzziele, gemeinhin also gedachte Finanzüberschüsse: Welche Nettozuflüsse sind für den Eigner erzielbar? – Demgemäß wird der Unternehmenswert bestimmt "durch den Barwert der mit dem Eigentum an dem Unternehmen verbundenen Nettozuflüsse an den Unternehmenseigner"; der Barwert wird mit einem Kapitalisierungszinssatz ermittelt, der auf adäquate Alternativanlagen bezogen ist. Damit wird als "Wert des Unternehmens" ein Zukunftserfolgswert berechnet (s. IDW S 1).[56]

Die Parameter sind damit verschoben. Der Zukunftsbezug hat weithin Zukunftsgläubigkeit verbreitet, gepaart mit Scheinrationalität durch mathematische Konstrukte und Rechenbilder.[57] Gegenüber seriöser Vergangenheitsanalyse, Substanz und Fakten gelten fragwürdige Prognosespiele, gewinnen Luftnummern weiten Raum; selbst in der Spruchpraxis der Rechtsprechung.[58] Gesetzgeber, wie im Zuge deutscher "Bilanzrechtsmodernisierung",[59] und Richter fördern zweifelhafte Praktiken sogenannter "fair-value"-Bewertung.[60] Gebaut wird auf Treibsand. Im Grunde erodieren damit Eigentum und Erbrecht.

[50] Mit Einzelheiten Großfeld/Luttermann (Fn 3), Rn 111 ff, 285 ff, 1130.
[51] Großfeld/Luttermann (Fn 3), Rn 146 ff.
[52] Luttermann, Bilanzrecht in den USA und internationale Konzernrechnungslegung, 1999.
[53] Je mwN Luttermann, Zum Rechtsgebiet der internationalen Konzernrechnungslegung, FS Bruno Kropff 1997, S. 485–506 sowie Luttermann (Fn 52) und ders. (Fn 44), AG 2000, 465 ff; ders., Unternehmenskontrolle und Bilanzmanipulation nach anglo-amerikanischen Mustern (IAS/IFRS und U.S. "GAAP"), WPg 2006, 778 ff.
[54] Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genussrechte: Eine Studie über Grundlagen der Unternehmensfinanzierung und zum internationalen Kapitalmarktrecht, 1998. Luttermann/Backmann, Rechtsverhältnisse bei Hedge-Fonds ("Risikofonds") in Deutschland und in den USA, ZIP 2002, S. 1017 ff; Luttermann/Vahlenkamp, Wahrscheinlichkeitsurteile im Insolvenzrecht und internationale Bewertungsstandards (Ratingagenturen), ZIP 2003, 1629-1637; Luttermann/Wicher, Rechtsordnung für Unternehmensanleihen: Vertragsrecht, Hybridformen und Standardisierung, ZIP 2005, S. 1529 ff.
[55] Luttermann, Kreditversicherung (Credit Default Swaps): Vertrag, Restrukturierung und Regulierung (Hedge-Fonds, Rating, Schattenbanken), RIW 2008, 737 ff.
[56] Nach Ertragswertverfahren oder Discounted-Cash-Flow-Verfahren; s. IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 idF 2008), IDW Fachnachrichten 2008, Heft 7 und WPg 2008, Supplement 3.
[57] Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genussrechte (Fn 54), S. 465 ff und 229 ff.
[58] Grds. Luttermann (Fn 7), 613 ff.
[59] Luttermann, Zum Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts, ZIP 2008, 1605, 1608 und 1610 f.
[60] Luttermann, Fair Value: Mythos, Methoden und Maß international, RIW 2009, 1 ff.

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