Wie der Ausgangsfall mit der Maßgabe, dass der Nachlass lediglich 40.000,00 EUR beträgt und die Schenkung an die Lebensgefährtin 60.000,00 EUR.
2.1 Ausschlagung
Wiederum soll zunächst untersucht werden, welche Konsequenzen sich ergeben, wenn S1 nach geltendem Recht gemäß § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB ausschlägt.
2.1.1 Gesamtpflichtteil
Der ordentliche Pflichtteil des S1 beträgt 10.000,00 EUR (40.000,00 EUR : 4), der fiktive Nachlass unverändert 100.000,00 EUR, der Gesamtpflichtteil weiterhin 25.000,00 EUR und der Ergänzungsanspruch 15.000,00 EUR (25.000,00 EUR ./. 10.000,00 EUR).
2.1.2 Leistungsverweigerungsrecht (§ 2328 BGB)
Es gilt im Unterschied zum Ausgangsfall aber zugunsten des S2 § 2328 BGB zu berücksichtigen. Die Vorschrift regelt über § 2319 BGB hinaus, dass der pflichtteilsberechtigte Erbe seinen eigenen Ergänzungspflichtteil gegenüber den Ergänzungsansprüchen anderer Pflichtteilsberechtigter behalten darf, und gibt ihm ein Leistungsverweigerungsrecht. Dieses besteht allerdings nur gegen den Ergänzungsanspruch, nicht gegen den ordentlichen Pflichtteilsanspruch.
Für einfach gelagerte Fälle der vorliegenden Art (geschiedener/verwitweter Erblasser; Schenkung an Dritten, pflichtteilsberechtigter Alleinerbe und pflichtteilsberechtigter Nichterbe) lässt sich die Regel aufstellen, dass das Leistungsverweigerungsrecht des § 2328 BGB abhängt von dem Verhältnis zwischen tatsächlichem Nachlass und dem Wert der Schenkung:
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Bleibt der Wert der Schenkung hinter dem tatsächlichen Nachlass zurück, steht dem pflichtteilsberechtigten Alleinerben kein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber dem pflichtteilsberechtigten Nichterben zu, dessen Gesamtpflichtteil er voll zu tragen hat. |
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Ist der Wert der Schenkung mindestens doppelt so hoch wie der tatsächliche Nachlass, steht dem pflichtteilsberechtigten Alleinerben das Leistungsverweigerungsrecht regelmäßig in voller Höhe zu; der pflichtteilsberechtigte Nichterbe muss sich wegen seines Ergänzungsanspruchs unmittelbar an den Beschenkten wenden (§ 2329 BGB). |
Gleiches gilt im Übrigen auch für den pflichtteilsberechtigten Alleinerben selbst, sofern durch den von ihm zu bedienenden ordentlichen Pflichtteil des Nichterben sein eigener Gesamtpflichtteil nicht mehr gewahrt ist.
Der Nachlass beträgt 20.000,00 EUR, die Schenkung des Erblassers an einen Dritten 50.000,00 EUR. Die beiden Söhne des verwitweten Erblassers sind zu Erben zu je 1/2 eingesetzt. S1 ist mit einem Vermächtnis zugunsten S2 in Höhe von 5.000,00 EUR beschwert und hat die Erbschaft ausgeschlagen.
In diesem Falle verblieben S2 15.000,00 EUR (tatsächlicher Nachlass von 20.000,00 EUR ./. 5.000,00 EUR aufgrund des Pflichtteilsanspruchs von S1) und damit weniger als sein eigener Gesamtpflichtteil (17.500,00 EUR). Den Ergänzungsanspruch des S1 (17.500,00 EUR ./. 5.000,00 EUR) von 12.500,00 EUR muss S2 nicht erfüllen (§ 2328 BGB). Daraus folgt: S2 erhält 15.000,00 EUR, S1 5.000,00 EUR. Die Lebensgefährtin muss an S2 2.500,00 EUR und an S1 12.500,00 EUR zahlen, sodass ihr 35.000,00 EUR verbleiben.
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Übersteigt der Wert der Schenkung den tatsächlichen Nachlass nicht um mehr als das Doppelte, so haben der pflichtteilsberechtigte Alleinerbe und der Beschenkte für den Ergänzungsanspruch des pflichtteilsberechtigten Nichterben anteilig aufzukommen, wobei der auf den Beschenkten entfallende Betrag mit dem Wert der Schenkung steigt. |
2.1.3 Zwischenergebnis
Für die Abwandlung bedeutet dies: S2 erhält den Nachlass in Höhe von 40.000,00 EUR und muss den ordentlichen Pflichtteilsanspruch des S1 von 10.000,00 EUR bedienen. Als Ergänzung des Pflichtteils kann S1 15.000,00 EUR verlangen.
Nach Zahlung von 10.000,00 EUR an S1 verbleiben S2 30.000,00 EUR und damit 5.000,00 EUR mehr, als sein eigener Gesamtpflichtteil ausmacht. § 2328 BGB gibt dem S2 aber kein über seinen Gesamtpflichtteil hinausgehendes Leistungsverweigerungsrecht. Er hat demnach weitere 5.000,00 EUR an S1 zu zahlen, diesmal auf dessen Pflichtteilsergänzungsanspruch, der sich auf 10.000,00 EUR verringert.
Wegen dieses nicht durch den Nachlass gedeckten Ergänzungsrestbetrages muss sich S1 gemäß § 2329 BGB unmittelbar an die beschenkte Lebensgefährtin des Erblassers halten. Es trifft ihn damit allein das Ausfallrisiko (§ 818 Abs. 3 BGB). Daher ist § 2328 BGB häufig Kritik ausgesetzt.
2.2 Annahme der Erbschaft
Was kann S1 fordern, wenn er die Erbschaft – warum auch immer – unanfechtbar angenommen hat?
2.2.1 Die allgemeinen Rechtsfolgen der Annahme
Nach Vorwegabzug des Vermächtnisses bleibt ein Nachlass von 15.000,00 EUR. S1 erhält 7.500,00 EUR, S2 insgesamt 32.500,00 EUR (25.000,00 EUR + 7.500,00 EUR). Im Unterschied zum Ausgangsfall bekommt S1 damit weniger, als ihm an ordentlichem Pflichtteil zugestanden hätte (10.000,00 EUR), s. o. 1.2.1.
2.2.2 Pflichtteilsergänzung
Wiederum ist die Schenkung des Erblassers an seine Lebensgefährtin, diesmal in Höhe von 60.000,00 EUR, zu berücksichtigen, ...