Wie gezeigt, würde das "Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechtes" weder im Falle der Annahme noch der Ausschlagung der Erbschaft im Ausgangsfall und in der Abwandlung zu vom geltenden Recht abweichenden Ergebnissen führen. Wann sich Unterschiede ergeben und wie diese aussähen, soll anhand der folgenden Beispielsfälle dargestellt werden:
(1) Der geschiedene Erblasser hinterlässt seine kinderlosen Söhne S1 und S2; S1 wird zum Miterben zu 1/4 eingesetzt, S2 zu 3/4. S1 ist mit einem Vermächtnis zugunsten von S2 in Höhe von 10.000,00 EUR beschwert. Der Nachlass beträgt 60.000,00 EUR. Sechs Monate vor seinem Tod hat der Erblasser seiner Lebensgefährtin 40.000,00 EUR schenkweise zugewandt.
(2) Wie Beispielsfall 1 mit der Maßgabe, dass die Schenkung an die Lebensgefährtin fünf Jahre und einen Monat vor dem Tode des Erblassers vorgenommen worden ist.
(3) Wie Beispielsfall 1 mit der Maßgabe, dass der Nachlass 40.000,00 EUR und die Schenkung an die Lebensgefährtin 60.000,00 EUR betragen hat.
(4) Wie Beispielsfall 2 mit der Maßgabe, dass der Nachlass 40.000,00 EUR und die Schenkung an die Lebensgefährtin 60.000,00 EUR betragen hat.
4.1 Geltendes Recht
In allen vier Beispielsfällen hätte S1 nicht ausschlagen dürfen, da die Voraussetzungen von § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB nicht gegeben waren. Dem S1 ist nicht mehr als die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils hinterlassen, sondern exakt die Hälfte. Entscheidend ist primär allein die Erbquote, die Bruchteilsgröße, nicht der tatsächliche Wert des Hinterlassenen.
Die Vermächtnisse wären kraft Gesetzes automatisch entfallen; hätte S1 gleichwohl ausgeschlagen, hätte er hierdurch auch seinen Pflichtteilsanspruch verloren. Der vom Bestehen eines Pflichtteilsanspruchs unabhängige Pflichtteilsergänzungsanspruch indes wäre nicht entfallen.
Hätte S1 in den Beispielsfällen 1 und 2 nicht ausgeschlagen, stünde ihm eine Nachlassbeteiligung in Höhe von 15.000,00 EUR zu. Ferner könnte S1 von seinem Bruder Pflichtteilsergänzung in Höhe von weiteren 10.000,00 EUR fordern (§ 2328 BGB).
In den Beispielsfällen 3 und 4 beliefe sich die Nachlassbeteiligung des S1 auf 10.000,00 EUR, der Pflichtteilsergänzungsanspruch auf 15.000,00 EUR. Da S2 selbst pflichtteilsberechtigter Erbe ist, ihm also gemäß § 2328 BGB 25.000,00 EUR zu verbleiben haben, hätten S2 5.000,00 EUR und die Lebensgefährtin gemäß § 2329 BGB 10.000,00 EUR zu tragen gehabt.
Es soll an dieser Stelle darauf verzichtet werden, die Nachlassbeteiligung des S1 im Falle der Ausschlagung der Erbschaft nach geltendem Recht darzustellen.
4.2 Geändertes Recht
Nach der geplanten Änderung des § 2306 Abs. 1 BGB bliebe das zugunsten von S2 angeordnete Vermächtnis wirksam. Im dem Regierungsentwurf heißt es hierzu, dass die Vorschrift daher nicht lediglich vorteilhaft sei. Ein automatisches Entfallen von Beschränkungen und Beschwerungen wird es dann nicht mehr geben, unabhängig davon, mit welcher Erbquote der Pflichtteilsberechtigte zum Miterben berufen ist.
4.2.1 Ausschlagung
Unterstellt, S1 hätte die ihm hinterlassene Erbschaft ausgeschlagen, was erforderliche wäre, um sich der Vermächtnislast zu entledigen:
4.2.1.1 Beispielsfall 1
Es ergibt sich keine Änderung zum geltenden Recht. S1 hätte als ordentlichen Pflichtteil von S2 15.000,00 EUR (1/4 von 60.000,00 EUR) erhalten und darüber hinaus 10.000,00 EUR Pflichtteilsergänzung. Schuldner wäre allein S2, dem 35.000,00 EUR verblieben (s. o. 4.1).
4.2.1.2 Beispielsfall 2
Hier sieht die Situation anders aus. Zwar bliebe es bei einem ordentlichen Pflichtteilsanspruch des S1 in Höhe von 15.000,00 EUR. Aber: Da seit der Schenkung des Erblassers an seine Lebensgefährtin vom Todeszeitpunkt an gerechnet mehr als fünf Jahre vergangen sind, wäre die Schenkung nur noch in Höhe von 5/10, also 20.000,00 EUR, zu berücksichtigen. Es ergäbe sich ein fiktiver Nachlass von 80.000,00 EUR und ein Pflichtteilsergänzungsanspruch von (20.000,00 EUR ./. 15.000,00 EUR =) 5.000,00 EUR.
Anspruchsgegner wäre S2, dem von insgesamt 60.000,00 EUR nach Abzug des Gesamtpflichtteils des S1 40.000,00 EUR verblieben.
4.2.1.3 Beispielsfall 3
Wiederum ergäben sich – mit Ausnahme der Notwendigkeit der Ausschlagung überhaupt – keine Abweichungen vom geltenden Recht. S1 stünden 10.000,00 EUR und weitere 15.000,00 EUR zu, wobei auf die Lebensgefährtin des Erblassers 10.000,00 EUR an Pflichtteilsergänzung entfielen.
4.2.1.4 Beispielsfall 4
Bei dieser Konstellation zeigen sich die Änderungen. Der ordentliche Pflichtteilsanspruch von S1 beläuft sich auf 10.000,00 EUR. Die Schenkung wäre nur noch in Höhe von 30.000,00 EUR zu berücksichtigen, sodass sich der fiktive Nachlass auf 70.000,00 EUR reduzieren würde. Es ermittelt sich ein Gesamtpflichtteil des S1 von (70.000,00 : 4 =) 17.500,00 EUR und ein Pflichtteilsergänzungsanspruch von nunmehr 7.500,00 EUR. Diesen hätte S2 gemäß § 2328 BGB zu bedienen. Denn: Auch S2 selbst ist über die genannte Vorschrift nur bis zu einem Betrag von 1...