Ein Vergleich zwischen geltendem Recht und anstehenden Änderungen aufgrund des Gesetzes zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts
Einführung
Nach geltendem Recht kann der Erblasser den Nachlass durch Vermächtnisse wirtschaftlich auf null stellen, wenn der dem Erben hinterlassene Erbteil die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils übersteigt. Schutz hiervor bietet § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB; schlägt der Erbe das ihm Hinterlassene aus, kann er seinen unbelasteten ordentlichen Pflichtteil verlangen. Schutz vor Schenkungen des Erblassers gewähren zudem die pflichtteilsergänzungsrechtlichen Vorschriften der §§ 2325 ff BGB. Beide Regelungen können nebeneinander zur Anwendung kommen. Doch welche Auswirkungen ergeben sich für die Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs, wenn der Erbe es versäumt hat, die Erbschaft gemäß § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB auszuschlagen und auch eine Anfechtung der Annahme ausscheidet? Durch das "Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts" sollen sowohl § 2306 Abs. 1 BGB als auch § 2325 Abs. 3 BGB geändert werden. Der Beitrag gibt einen Überblick über den gegenwärtigen Rechtsstand und stellt zudem die Folgen dar, die sich durch die Reform für Fälle dieser Art künftig ergeben, also insbesondere unter Berücksichtigung des Verhältnisses von § 2306 und § 2325 BGB.
1. Ausgangsfall
Der geschiedene Erblasser hinterlässt seine kinderlosen Söhne S1 und S2, die er zu Miterben zu je 1/2 eingesetzt hat, ohne Ersatzerben zu benennen. S1 ist zudem mit einem Vermächtnis in Höhe von 25.000,00 EUR zugunsten S2 beschwert. Der Nachlass beläuft sich auf 60.000,00 EUR. Sechs Monate vor seinem Tod hat der Erblasser seiner Lebensgefährtin 40.000,00 EUR schenkweise zugewandt.
1.1 Ausschlagung
S1 macht von seinem Recht gemäß § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB Gebrauch und schlägt die Erbschaft aus.
1.1.1 Ordentlicher Pflichtteil
Der Pflichtteilsanspruch von S1 beläuft sich auf 1/4 (§§ 1924 Abs. 1, Abs. 4, 2303 BGB).
Nach erklärter Ausschlagung kann S1 seinen vollen (ordentlichen) Pflichtteil verlangen, also 15.000,00 EUR (60.000,00 EUR : 4), ohne das Vermächtnis bedienen zu müssen.
1.1.2 Ergänzungspflichtteil
Wegen der Schenkung an die Lebensgefährtin stünde S1 ferner der selbstständige Pflichtteilsergänzungsanspruch gemäß § 2325 Abs. 1 BGB zu. Als Pflichtteilsergänzung kann S1 den Betrag beanspruchen, um den sich sein Pflichtteil erhöht, wenn der geschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird.
Der reale Nachlass beträgt 60.000,00 EUR. Vom fiktiven Nachlass in Höhe von 100.000,00 EUR steht S1 die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils zu, also 1/4, das sind 25.000,00 EUR. Von diesem Gesamtpflichtteil ist der ordentliche Pflichtteil (15.000,00 EUR) in Abzug zu bringen, sodass ein Ergänzungspflichtteil von 10.000,00 EUR verbleibt.
Der Anspruch richtet sich primär gegen den Erben, nicht unmittelbar gegen den Beschenkten (§§ 2328, 2329 BGB). Dessen Haftung setzt erst da ein, wo die des Erben aufhört. Schuldner ist demnach grundsätzlich S2, der mangels Ersatzerbenberufung Alleinerbe des Erblassers geworden ist (§§ 1953 Abs. 2, 1924 Abs. 1 BGB).
1.1.3 Zwischenergebnis
S2 erhält den Nachlass in Höhe von 60.000,00 EUR und muss hieraus den ordentlichen Pflichtteil des S1 begleichen; es verbleiben 45.000,00 EUR. Nach Abzug des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ergibt sich für S2 eine wirtschaftliche Nachlassbeteiligung von 35.000,00 EUR. Sein eigener Gesamtpflichtteil (ordentlicher Pflichtteil und Ergänzungspflichtteil) von 25.000,00 EUR wäre gewahrt. Die beschenkte Lebensgefährtin müsste nichts zahlen (§§ 2328, 2329 Abs. 1 S. 1 BGB).
1.2 Annahme
S1 hat nicht ausgeschlagen, aus welchem Grunde auch immer. Welche wirtschaftliche Nachlassbeteiligung steht ihm nunmehr zu?
1.2.1 Die allgemeinen Rechtsfolgen der Annahme
Nimmt der Pflichtteilsberechtigte das ihm Hinterlassene an, bleibt er Erbe mit allen sich daraus ergebenden Beschränkungen und Beschwerungen, die in vollem Umfang bestehen bleiben, er hat keinen Anspruch darauf, dass ihm etwas aus der Erbschaft verbleibt. Nimmt er die Hinterlassenschaft an, entfällt sein Pflichtteilsanspruch auch dann, wenn er infolge der Belastungen weniger als den Wert des Pflichtteils erhält.
Daraus folgt für den Ausgangsfall: S1 und S2 werden Miterben zu je 1/2. Das Vorausvermächtnis als Nachlassverbindlichkeit ist vorab von dem zu verteilenden Nachlass in Abzug zu bringen und führt demnach zu einer Minderung des Nachlasses insgesamt: Von dem tatsächlichen Nachlass verbleiben 35.000,00 EUR. Diese stehen S1 und S2 je zur Hälfte zu. S1 erhält insgesamt 17.500,00 EUR, S2 42.500,00 EUR.
Das bedeutet weiter, dass S1 trotz des ihn beschwerenden Vermächtnisses 2.500,00 EUR mehr erhält, als ihm sein ordentlicher Pflichtteil eingebracht hätte.