Einführung
Das Nachlassinsolvenzrecht ist für manchen Erbrechtler Terra incognita. Das muss nicht sein. Der nachfolgende Beitrag liefert nicht nur dem potenziellen Insolvenzverwalter einen Überblick über die wichtigsten Grundbegriffe und Zusammenhänge. Er soll auch den Blick auf Handlungspflichten und -möglichkeiten in der erbrechtlichen Beratung eröffnen, und zwar sowohl aus Sicht des Erben als auch aus Sicht der Gläubiger.
A. Grundlagen
1. Die Insolvenz im System der Vollstreckung
Ziel eines Insolvenzverfahrens ist die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger eines Schuldners. Es handelt sich um eine Gesamtvollstreckung. Anders als in der Einzelvollstreckung greifen nicht einzelne Gläubiger auf einzelne Gegenstände zu. Die Insolvenz beendet den Wettlauf der einzelnen Gläubiger. Der Preis hierfür ist regelmäßig ihre nur anteilige Befriedigung.
2. Die Nachlassinsolvenz im System der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung
Der Erbe haftet für Nachlassverbindlichkeiten grundsätzlich unbeschränkt. Er kann die Haftung aber auf den Nachlass beschränken. Der bloße Vorbehalt gem. § 780 ZPO führt jedoch noch nicht zur Haftungsbeschränkung. Nur zwei Maßnahmen bewirken tatsächlich die Haftungsbeschränkung gegenüber sämtlichen Gläubigern: die Anordnung der Nachlassverwaltung und die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens, § 1975 BGB. Üblicherweise werden die beiden Verfahren danach unterschieden, ob der Nachlass zur Bedienung aller Nachlassgläubiger ausreicht oder nicht. Die Nachlassverwaltung kennt folgerichtig keine Rangverhältnisse. De facto führt meist auch die Durchführung eines Gläubigeraufgebotsverfahrens zur beschränkten Haftung, denn gegenüber ausgeschlossenen Gläubigern haftet der Erbe gem. § 1973 BGB nur nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen. Reicht der Nachlass nicht zur Befriedigung aller Gläubiger aus, besteht allerdings weiterhin die Pflicht aus § 1980 BGB, Nachlassinsolvenz zu beantragen – es sei denn, dem Erben gelingt eine Einigung mit allen Gläubigern. Diese Option erspart die immensen Verfahrenskosten und nutzt deshalb den Gläubigern.
B. Eröffnungsvoraussetzungen
1. Allgemein
Materiellrechtliche Eröffnungsvoraussetzungen sind die (drohende) Zahlungsunfähigkeit oder die Überschuldung des Schuldners. Bei der Beurteilung sowohl der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit als auch der Überschuldung spielen die Verbindlichkeiten eine entscheidende Rolle. Im Eröffnungsverfahren ist es nicht möglich, die Berechtigung von Forderungen gegen den Schuldner abschließend zu prüfen. Das ist auch nicht Aufgabe eines vom Gericht beauftragten Gutachters. Eine genauere rechtliche Prüfung der Verbindlichkeiten kann allenfalls dann geboten sein, wenn ihre Berechtigung im Streit steht.
1.1 Zahlungsunfähigkeit ist gegeben, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen, § 17 Abs. 2 InsO. Dogmatisch bedeutet Zahlungsunfähigkeit einen Mangel an Liquidität auf einen bestimmten Zeitpunkt bezogen, nicht auf einen Zeitraum. Die Rechtsprechung definiert eine Liquiditätslücke des Schuldners von 10 % oder mehr als Zahlungsunfähigkeit, es sei denn, es wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Liquiditätslücke innerhalb von drei Wochen beseitigt wird und den Gläubigern ein solches Zuwarten zugemutet werden kann. Anders formuliert: Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn die liquiden Mittel des Schuldners nicht ausreichen, wenigstens 90 % der fälligen Passiva zu decken. Das Ausmaß der Unterdeckung ergibt sich aus einer stichtagsbezogenen Gegenüberstellung aller aktuell verfügbaren und kurzfristig verfügbar werdenden Mittel auf der einen Seite mit allen fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten auf der anderen Seite. Liquiditätsengpässe in Form vorübergehender Zahlungsschwierigkeiten gelten als Zahlungsunfähigkeit, wenn sie mehr als drei Wochen dauern.
1.2 Stellt der Schuldner selbst den Eröffnungsantrag, ist schon die drohende Zahlungsunfähigkeit Eröffnungsgrund (§ 18).
1.3 Die Überschuldung ist ein alternativer Eröffnungsgrund bei juristischen Personen (§ 19 Abs. 1), nicht aber bei natürlichen Personen und Personengesellschaften mit Ausnahme der GmbH & Co. KG (§ 19 Abs. 3 iVm § 11 Abs. 2 Nr. 1). Überschuldung liegt vor, wenn die Passiva größer sind als der Wert des Aktivvermögens des Schuldners. Zur Feststellung der Wertrelation sind gemäß § 19 Abs. 2 in der Regel Liquidationswerte und nicht Betriebsfortführungswerte festzustellen.
1.4 Neben einem materiellrechtlichen Eröffnungsgrund bedarf es ausreichend liquider Aktiva, um die Kosten des Verfahrens zu decken. Fehlt es daran, wird die Eröffnung mangels Masse abgewiesen (§ 26 Abs. 1 Satz 1), es sei denn, dass ein Massekostenvorschuss geleistet wird. Interesse an einer solchen Vorschussleistung kann z...