Leitsatz
Die Bewertung von Nachlassgegenständen, die nach dem Erbfall veräußert werden, orientiert sich, soweit nicht außergewöhnliche Verhältnisse vorliegen, am tatsächlich erzielten Verkaufspreis. Das gilt unabhängig davon, ob die Gegenstände (hier: Grundstücke) zu einem Preis veräußert werden, der über oder unter dem durch einen Sachverständigen ermittelten Schätzwert liegt. Darlegungs- und beweispflichtig für den Wert des Nachlassgegenstands im Zeitpunkt des Erbfalls ist der Pflichtteilsberechtigte.
BGH, Beschluss vom 25. November 2010 – IV ZR 124/09
Sachverhalt
Die Klägerin macht gegen die Beklagten Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend. Die Erblasserin Emma S. hatte ihre beiden Kinder, die Klägerin und den Beklagten zu 3, testamentarisch als Vorerben sowie die Beklagten zu 1 und 2, Söhne des Beklagten zu 3, als Nacherben und Ersatzerben der Vorerben eingesetzt. Nach dem Tod der Erblasserin am 14. Januar 2001 schlug die Klägerin die Erbschaft aus.
In den Nachlass der Erblasserin fallen u. a. drei Grundstücke bzw. Anteile daran, um deren Bewertung die Parteien streiten. Die Erblasserin war Alleineigentümerin eines Grundstücks in A., dessen Verkehrswert vom Gutachterausschuss der Stadt A. zum 1. Mai 2001 auf 499.500 DM geschätzt wurde. Die Beklagten veräußerten dieses Hausgrundstück am 21. Oktober 2002 für 175.000 EUR. Ferner war die Erblasserin Miterbin zu 1/2 am Nachlass einer vorverstorbenen Schwester. In diesen fiel zum einen eine Eigentumswohnung in F., die am 18. Februar 2003 für 105.000 EUR veräußert wurde. Das Ortsgericht F. Mitte hatte sie am 3. Dezember 2001 auf 220.000 DM geschätzt. Zum anderen gehörte zu diesem Nachlass ein bebautes Grundstück in M., das am 28. Juli 2004 für 296.000 EUR verkauft wurde. Für dieses Grundstück gibt es drei verschiedene Gutachten. Das Ortsgericht M. hatte am 25. Februar 2002 den Verkehrswert auf 490.000 EUR festgesetzt. Der Sachverständige J. hatte in einem Teilungsversteigerungsverfahren mit Gutachten vom 7. März 2003 den Verkehrswert mit 355.000 EUR ermittelt. Schließlich hatte der Gutachterausschuss des O.-Kreises für M. am 26. August 2004 den Wert des Grundstücks zum 14. Januar 2001 mit 301.400 EUR bemessen.
Die Beklagten zahlten an die Klägerin bis zum Erlass des landgerichtlichen Urteils 121.607,65 EUR. Das Landgericht verurteilte die Beklagten zur Zahlung weiterer 11.956,82 EUR zuzüglich Zinsen. Nach Erlass des Urteils zahlten die Beklagten an die Klägerin 36.797,36 EUR. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin weiterhin ihren Zahlungsanspruch von 38.165,65 EUR nebst Zinsen sowie einen Feststellungsantrag hinsichtlich weiterer Zahlungen. Das Berufungsgericht hat die Beklagten verurteilt, an die Klägerin 11.979,88 EUR nebst Zinsen abzüglich am 18. März 2009 gezahlter 36.797,36 EUR zu zahlen und der Feststellungsklage teilweise stattgegeben.
Aus den Gründen
Die Abweisung der Klage durch das Berufungsgericht ohne weitere Beweisaufnahme zum Wert der Grundstücke A. und M. verletzt den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise und gebietet daher die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht zunächst allerdings noch von den Grundsätzen zur Wertbemessung ausgegangen. Gemäß § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB werden bei der Berechnung des Pflichtteils der Bestand und der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls zugrunde gelegt. Der Pflichtteilsberechtigte ist wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umgesetzt worden (BGHZ 14, 368, 376; Senatsurteile vom 14. Oktober 1992 – IV ZR 211/91, NJW-RR 1993, 131 unter I 2 a; vom 13. März 1991 – IV ZR 52/90, NJW-RR 1991, 900). Abzustellen ist mithin auf den sogenannten gemeinen Wert, der dem Verkaufswert im Zeitpunkt des Erbfalls entspricht. Da derartige Schätzungen mit Unsicherheiten verbunden sind, entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass sich die Bewertung von Nachlassgegenständen, die bald nach dem Erbfall veräußert worden sind, von außergewöhnlichen Verhältnissen abgesehen, grundsätzlich an dem tatsächlich erzielten Verkaufspreis orientieren muss (Senatsurteile vom 14. Oktober 1992 und 13. März 1991 aaO; vom 24. März 1993 – IV ZR 291/91, NJW-RR 1993, 834 unter 2; vom 17. März 1982 – IVa ZR 27/81, NJW 1982, 2497).
Ohne Erfolg hält demgegenüber die Klägerin die Frage der Verteilung der Beweislast für unveränderte Marktverhältnisse und die Veränderung der Bausubstanz zwischen Erbfall und Veräußerung des Grundstücks für grundsätzlich, wenn das Grundstück nicht über, sondern – wie hier – unter dem Schätzwert verkauft wird. Diese Frage ist durch die Rechtsprechung des Senats bereits geklärt. Zunächst ist die Maßgeblichkeit des Veräußerungserlöses nicht auf die Fälle beschränkt, in denen der Veräußerungserlös über dem Schätzwert des Gutachters liegt. Vielmehr hat der Senat bereits in dem Urteil vom 14. Oktober 1992 (IV ZR 211/91, NJW-RR 1993, 131 unter I 2 a) ausgeführt,...