Die zweite Tatbestandsvoraussetzung für die vollständige Steuerbefreiung ist schwieriger nachzuweisen. Die Kunstgegenstände müssen sich seit mindestens zwanzig Jahren vor dem Stichtag in Familienbesitz befunden haben, oder aber – mit allen weiteren damit verbundenen Einschränkungen – in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes eingetragen sein. Bei Kunstsammlungen bestand die langjährige Unsicherheit, wann sich eine Kunstsammlung seit 20 Jahren in Familienbesitz iSd § 13 Abs. 1 Ziffer 2 Buchstabe b, lit. bb ErbStG befunden hat und inwieweit bei Verkauf eines Werkes aus der Sammlung die gesamte Sammlung damit die Steuerbefreiung verlieren könnte.
Hier schaffte der BFH mit seiner mehrfach zitierten Grundsatzentscheidung vom 12.5.2016 weitere Klarheit: Es kommt auf die Dauer des Besitzes an dem einzelnen Kunstwerk an, so dass ggf. einzelne Kunstwerke mit kürzerer Besitzdauer nicht begünstigt sind. Diese Entscheidung brachte eine erhebliche Rechtssicherheit für den Sammler und bietet für die Erben den Vorteil, dass einzelne Kunstgegenstände bei entsprechender Marktlage verkauft werden können, auch wenn damit die große Kunstbefreiung für dieses sodann verkaufte Objekt verloren geht und nur noch die kleine Kunstbefreiung eingreifen kann. Mit dieser Entscheidung gibt es keine Abgrenzungsschwierigkeiten mehr, und es wurde seitens des BFH klargestellt, dass der Verkauf nur eines Kunstwerkes innerhalb der Haltefrist nicht den gesamten Kunstnachlass infiziert.
Bei Investoren im Bereich der zeitgenössischen Kunst dürfte in der Regel eine vollständige Steuerbefreiung ausscheiden, da hier der 20-jährige Vorbesitz nicht gegeben ist. Lediglich wenn ein zeitgenössisches Kunstwerk zum Kulturgut erklärt werden sollte, könnte die Alternative nach § 13 Abs.1 Ziffer 2 Buchstabe b lit bb ErbStG eingreifen. Auch wenn es verlockend sein mag, im Hinblick auf eine vollständige Steuerbefreiung den Eintrag eines Kunstwerkes als national wertvolles Kulturgut zu erreichen, muss bedacht werden, dass bei einem evtl. späteren Verkauf eines solchen Kunstwerkes nach Ablauf der 10-jährigen Haltefrist ggf. nur ein erheblich geringerer Erlös erzielt werden kann. Vor diesem Hintergrund sollte abgewogen werden, ob nicht die "kleine Steuerbefreiung" der wirtschaftlich bessere Weg ist. Noch nicht entschieden wurde der Sachverhalt, dass im Nachgang zu dem Übertragungsstichtag, aber während der Haltefrist von 10 Jahren ein Kunstwerk unter Schutz gestellt wurde. Eine nachträgliche vollständige Steuerbefreiung dürfte jedoch ausscheiden.