"Keine Verwandten sind erbberechtigt"
Das gesetzliche Erbrecht des Fiskus ist in § 1936 BGB geregelt. Danach erbt der Fiskus subsidiär, wenn keine anderen testamentarischen oder gesetzlichen Erben zur Erbfolge berufen sind. Um einen herrenlosen Nachlass zu verhindern, soll auf diese Weise das Land erben, in dem der Erblasser zur Zeit des Erbfalls seinen letzten Wohnsitz oder, wenn ein solcher nicht feststellbar ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte; ersatzweise erbt der Bund.
Das Staatserbrecht kann auch dann eintreten, wenn der Erblasser in seinem Testament alle gesetzlichen Erben ausschließt und gleichzeitig keine positive Erbeinsetzung anordnet (sog. Negativtestament gem. § 1938 BGB; vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.11.2020 – 8 W 359/20, Rn 16, juris; Palandt/Weidlich, BGB, § 1938 Rn 1). Aufgrund seiner Testierfreiheit kann der Erblasser seine Verwandten insofern teilweise oder vollständig von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen. Der Enterbungswille des Erblassers ist auszulegen und muss dabei unzweideutig zum Ausdruck kommen (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.9.2015 – I-7 U 77/14, Rn 41 – 42, juris; OLG München, Urt. v. 19.12.2012 – 31 Wx 434/12, NJW-RR 2013, 329, 330; Damrau/Tanck/Seiler-Schopp, Erbrecht, 3. Auflage, 2014, § 1938 Rn 3; Staudinger/Gerhard Otte, (2008) BGB, § 1938 Rn 7; BeckOK BGB/Müller-Christmann, Stand 1.8.2015, § 1938 Rn 2; Herberger/Martinek/Rüßmann u.a./M. Schmidt, jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 1938 Rn 5). Die Enterbung eines bestimmten gesetzlichen Erben umfasst in der Regel nicht dessen Abkömmlinge, es sei denn auch dieser Wille des Erblassers ergibt sich unzweideutig aus der letztwilligen Verfügung (vgl. BGH, Urt. v. 14.1.1959 – V ZR 28/58, juris; BayOLG, Beschl. v. 10.4.1989 – BReg 1 a Z 72/88, juris; Staudinger/Gerhard Otte, (2008) BGB, § 1938 Rn 10).
Im Rahmen der Testamentsauslegung sind Begünstigungs- und Enterbungswille grundsätzlich gleichermaßen gem. §§ 133, 2084 BGB zu ermitteln. Allerdings sollte bei der Annahme der Enterbung aller Verwandten Zurückhaltung geboten sein. Denn es besteht durchaus ein allgemeiner Erfahrungssatz dahingehend, dass ein Erblasser das Erbrecht eines auch noch so entfernt Verwandten zumeist dem Erbrecht des Fiskus vorziehen wird. Der Wille zum umfassenden Ausschluss des Verwandtenerbrechts muss daher anhand der letztwilligen Verfügung feststellbar sein und darf nicht vorschnell angenommen werden (OLG Hamm, Beschl. v. 9.12.2011 – I-15 W 701/10, Rn 6, juris).
Mit der vorliegenden Entscheidung des OLG Frankfurt, Beschl. v. 30.11.2020, Az. 21 W 142/20, fasst das Beschwerdegericht unter Bestätigung des erstinstanzlichen Beschlusses des Nachlassgerichts, Amtsgericht Eschwege, Beschluss 26.8.2020, Az. 11 VI 848/18 (2018) anschaulich die entwickelten Kriterien der Testamentsauslegung zusammen, anhand derer der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen ist:
"Die Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen, wobei maßgeblich allein das subjektive Verständnis des Erblassers von den von ihm verwendeten Begriffen ist (BGH, Urt. v. 28.1.1987 – Iva 191/85, FamRZ 1987, 475, 476; Palandt/Weidlich, BGB, 2020, § 2084 Rn 1). Zur Ermittlung des Inhalts der testamentarischen Verfügungen ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen (BGH, Urt. v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, NJW 1993, 256 m.w.N.). Solche Umstände können vor oder auch nach der Errichtung des Testamentes liegen. Dazu gehört das gesamte Verhalten des Erblassers, seine Äußerungen und Handlungen (Palandt/Weidlich, BGB, 2020, § 2084 BGB Rn 2 m.w.N.), jedoch müssen sich mit Blick auf die Formerfordernisse des § 2247 BGB für einen entsprechenden Willen des Erblassers in der letztwilligen Verfügung – wenn auch nur andeutungsweise – Anhaltspunkte finden lassen (BGH, Urt. v. 9.4.1981 – IVa ZB 4/80, BGHZ 80, 242, 244; BGH, Urt. v. 8.12.1982 – Iva 94/81, BGHZ 86, 41; Palandt/Weidlich, BGB, 2020, § 2084 Rn 4)."
Kann sich der Richter danach auch unter Auswertung aller Umstände von dem tatsächlich vorhandenen wirklichen Willen des Erblassers nicht überzeugen, muss er sich mit dem Sinn begnügen, der dem Erblasserwillen mutmaßlich am ehesten entspricht (BGH, Urt. v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, NJW 1993, 256; OLG Hamm, Beschl. v. 9.12.2011 – I-15 W 701/10, Rn 3, juris).
Anders als bei einem Einzeltestament sind beim gemeinschaftlichen Testament zwei Erbfälle zu betrachten und der entsprechende Erblasserwille zu untersuchen. Für das Fiskus-Erbrecht stellt sich insoweit die Frage, ob sich gerade für den Erbfall nach dem Längstlebenden ein Negativtestament i.S.d. § 1938 BGB mit einem umfassenden Enterbungswillen bezüglich der gesetzlichen Erben, bzw. Verwandten feststellen lässt. Nur dann kann der Fiskus als gesetzlicher Erbe für den zweiten Erbfall gem. § 1936 BGB in Betracht kommen.
Im vorliegenden Sachverhalt des OLG Frankfurt war ein handschriftl...