Leitsatz
1. Bei der Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments muss anhand der maßgeblichen Auslegungsgrundsätze und der äußeren Umstände der wirkliche Erblasserwille für jeden Erbfall gesondert ermittelt werden.
2. Die Formulierung "Keine Verwandten sind erbberechtigt" kann sich bei einem gemeinschaftlichen Testament nur auf den ersten Erbfall beziehen. Im Einzelfall muss differenziert werden, ob die Enterbung aller Verwandten rein deklaratorisch erfolgte oder im Sinne eines echten Negativtestamentes. Hierbei kann die systematische Stellung der Formulierung im gemeinschaftlichen Testament Aufschluss geben.
OLG Frankfurt, Beschl. v. 30.11.2020 – 1 W 142/20
1 Tatbestand
I.
Die am 3.9.2018 verstorbene und zuletzt in. E. wohnhafte Erblasserin war verheiratet. Ihr Ehemann ist ebenso wie ihre Eltern vorverstorben. Sie hatte insgesamt sechs Geschwister. Bei den Beteiligten zu 2) bis 5) handelt es sich um Nichten und Neffen der Erblasserin.
Am 20.1.1998 errichteten die Erblasserin und ihr Ehemann ein han.dschriftliches Testament, hinsichtlich dessen Inhalt im Einzelnen auf Bl. 7 d. A. verwiesen wird. Hierin setzten sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben ein. Im Anschluss heißt es dann: "eine Verwandten sind erbberechtigt. Danach kann der Alleinstehende eine Betreuungsperson bestimmen, die bereit ist für ihn im Krankheitsfalle eine Pflegehilfe, Betreuung zu leisten und das schuldenfreie Haus mit Grundstück im … mit gesamten Inventar ordnungsgemäß weiterzuleiten. Sie ordnet auch die Beisetzung zum Erstverstorbenen an und übernimmt deren Kosten. Nach dem Tode des Zuletztverstorbenen soll sie als Gegenleistung unseren ganzen beiderseitigen freien Nachlass dafür bekommen".
Bei dem Beteiligten zu 6) handelt es sich um den Berufsbetreuer der Erblasserin, der seitens des Gerichts im Jahr 2007 im Zuge eines Krankenhausaufenthaltes der Erblasserin eingesetzt wurde. lm November 2007 attestierte der Hausarzt der Erblasserin eine beginnende Demenz.
Nach dem Tod der Erblasserin hat das Nachlassgericht zunächst mit Beschl. v. 9.11.2018 Nachlasspflegschaft angeordnet unter anderem mit dem Ziel der Erbenermittlung. Vom Nachlasspfleger wurden unter anderem die Beteiligten zu 2) bis 5) ermittelt. Die Ermittlung aller gesetzlichen Erben ist bislang allerdings nicht abgeschlossen.
Mit Schriftsatz vom 25.5.2020 (BI. 167 f. d. A) hat die Beteiligte zu 1) einen Alleinerbschein zugunsten des Landes Hessen beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die gesetzlichen Erben der Eheleute seien von diesen in dem Testament vom 20.1.1998 enterbt worden. Zwar habe für den Längstlebenden die Möglichkeit bestanden, einen Alleinerben als Gegenleistung für etwaige Betreuungsleistungen zu bestimmen. Hiervon sei allerdings kein Gebrauch gemacht worden, so dass gemäß § 1936 BGB der Fiskus Alleinerbe sei. Dem Erbscheinsantrag sind die übrigen Beteiligten entgegengetreten.
Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Erbscheinsantrag zurückgewiesen. Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der letztwilligen Verfügung aus dem Jahr 1998 bestünden nicht. Ferner sei es zwar zutreffend, dass der Beteiligte zu 6) von der Erblasserin nicht als Alleinerbe eingesetzt worden sei. Die testamentarische Regelung habe sich ersichtlich auf eine dem Längstlebenden nahestehende Person, aber nicht auf einen vom Gericht eingesetzten Berufsbetreuer bezogen. Allerdings sei der Antragstellerin nicht darin zu folgen, dass sich der Ausschluss der Verwandten von der Erbschaft auf beide Erbfälle bezogen habe. Vielmehr sei die letztwillige Verfügung so zu verstehen, dass eine Enterbung nur für den Erbfall nach dem Erstverstorbenen gewollt gewesen sei. Hierfür spreche sowohl der Wortlaut als auch das Ziel der Verfügung, nämlich die Sicherstellung der Versorgung des Längstlebenden.
Gegen den ihr am 17.9.2020 zugestellten Beschluss hat die Beteiligte zu 1) mit am 25. September•2020 beim Nachlassgericht eingegangenem Beschluss befristete Beschwerde eingelegt, der der Beteiligte zu 5) entgegengetreten ist. Zur Begründung ihres Rechtsmittels hat die Beteiligte zu 1) vornehmlich ausgeführt, dem Testament lasse sich mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass alle Verwandten nach beiden Erbfallen von der Erbschaft ausgeschlossen sein sollten. Der letztwilligen Verfügung sei zu entnehmen, dass die Eheleute sich intensiv über den zeitlichen Ablauf Gedanken gemacht hätten. Sie hätten die finanziellen Mittel behalten wollen, um den Überlebenden zu versorgen. Wenn sie die Enterbung nach dem ersten Todesfall hätten neu regeln wollen, hätten sie dies zum Ausdruck gebracht. Obgleich die Erblasserin noch einige Jahre nach dem Tod ihres Mannes gelebt habe, habe sie gleichwohl keine von der vorgenommenen Enterbung der Verwandten abweichende Regelung vorgenommen. Schließlich lasse auch der Wortlaut und insbesondere das von den Eheleuten benutzte Wort, "danach" keinen Schluss darauf zu, dass die Enterbung nur für den Fall des Erstverstorbenen Gültigkeit haben sollte.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abge...