Wenn es um den Missbrauch der Vorsorgevollmacht geht, denken wir allzu oft an die Immobilie oder das Bankkonto, etwaige Auskunfts- oder Rückforderungsansprüche und den "Rest", der – wenn der Vorsorgebevollmächtigte noch etwas übriglässt – auf die Erben übergeht.
Das ist nicht falsch, aber vorschnell und unvollständig. Denn aus Sicht desjenigen, der sich nicht mehr ausreichend selbst um seine Angelegenheiten kümmern kann, geht es doch insbesondere auch um die Gesundheit, die sozialen Kontakte, die persönliche Freiheit, das Lebensumfeld, die Selbstbestimmung und letztlich um die Würde.
Auch die vom Vorsorgebevollmächtigten getroffene Entscheidung zum Umzug des Betroffenen in ein Pflegeheim oder zur Freizeitgestaltung des Pflegebedürftigen kann einen (teils eklatanten) Vollmachtsmissbrauch darstellen, wenn sie dem früher geäußerten Willen des Betroffenen widerspricht.
Zwei Beispiele aus der täglichen Mandatsbearbeitung:
Die 95-Jährige, die bis dahin ohne fremde Hilfe in ihrer eigenen Wohnung gelebt hat, muss an Weihnachten mit "entgleistem Zucker" in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Bevor sie in der stationären Behandlung zu alter Form zurückfindet, entscheidet die vorsorgebevollmächtigte Tochter über ihren Kopf hinweg, dass nun die Zeit gekommen sei, die Mutter in ein Pflegeheim umzusiedeln, schließt die Vorsorgebevollmächtigte bereits mit einem Pflegeheim einen Vertrag ab und äußerte der Schwiegersohn erste Gedanken zur Räumung der Wohnung der Betroffenen. In Unkenntnis dieser Weichenstellung nimmt die 95-Jährige im Krankenhaus mit Ehrgeiz und starkem Willen den täglichen Termin mit dem Physiotherapeuten wahr, immer das Ziel vor Augen, in die eigene Wohnung zurückzukehren. Wie alle in der Familie wissen, will sie zu Hause gepflegt werden und zu Hause sterben. Geld hat sie genug. Als sie erfährt, dass die Weichen längst anders gestellt sind, realisiert sie, dass sich die Vorsorgebevollmächtigte über ihren früher geäußerten Willen hinweggesetzt und die eigenen Erwägungen in den Vordergrund gedrängt hat.
Der hochbetagte und zumindest leicht demente Künstler hatte stets einen großen Freundes- und einen noch größeren Bekanntenkreis. Er lebte seit vielen Jahren in der Villa seiner Lebenspartnerin. Dort konnten jüngere und ältere Freunde, Bekannte und auch ehemalige Kollegen ein- und ausgehen. Wie seit Jahrzehnten gewohnt, war man nie allein. Die Lebenspartnerin hatte den Willen und die Kraft, dies auch trotz der beginnenden Demenz des Betroffenen so weiter zu leben. Beide hatten den Plan, dass er später einmal in ihrer Villa gepflegt werden und dort seinen Lebensabend verbringen sollte. Der Betroffene hatte nicht seiner Lebenspartnerin, denn diese war ja sein Alter und Gleichaltrigen soll man keine Vorsorgevollmacht erteilen, sondern seiner Tochter Vollmacht für den Vorsorgefall erteilt. Die Tochter hatte noch nie Sympathien für den Lebensstil des Vaters aufbringen können, zumal er aufgrund seiner Demenz nur noch Geld "verbrauchte". Seine während der Demenz entstandenen Gemälde waren – anders als früher – unverkäuflich. Also beschloss die Tochter, ihren Vater etwa 130 km entfernt in einem Pflegeheim unterzubringen, zu weit für den spontanen und regelmäßigen Besuch seiner Freunde. Der Vater vereinsamte dort binnen kurzer Zeit (vgl. hierzu etwa BayObLG, Beschl. v. 9.4.2003 – 3Z BR 242/02).
Zerberus meint: Vollmachtsmissbrauch zu verhindern ist schwer. Missbrauch der Vollmacht in der Personensorge zu verhindern, ist noch schwerer. Umso wichtiger ist es, dass Rechtsanwälte und Notare bei der Beratung zur Errichtung einer Vorsorgevollmacht vorsorglich sämtliche Aspekte des Vollmachtsmissbrauchs offen und ausführlich ansprechen und nach geeigneten Strategien suchen, den Missbrauch im konkreten Fall so schwer wie möglich zu machen.
ZErb 3/2023, S. I